Halbdemokrat Lebed in der Defensive

Der russische Präsident Boris Jelzin hat seinen Tschetschenien-Beauftragten Alexander Lebed vor eine schier unlösbare Aufgabe gestellt und ihn damit geschickt ausmanövriert  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Friedensemissär Alexander Lebed steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Präsident Jelzin forderte seinen Sonderbeauftragten für Tschetschenien auf, drei Dinge in unmittelbarer Zukunft anzugehen: den Abzug der russischen Truppen zum 1. September vorzubereiten, Gespräche mit der Führung der Rebellen fortzusetzen und „das System von Recht und Ordnung in Grosny“ wiederherzustellen, wie es vor dem 6. August, dem Tag der erfolgreichen Offensive der Freischärler, bestanden hat. Jelzins Order macht die Ergebnisse, die Lebed und der tschetschenische Kommandeur Aslan Maschadow, letzte Woche erzielt hatten, den brüchigen Waffenstillstand, zunichte. Das „System von Recht und Ordnung“ wiederherzustellen bedeutet Krieg. Denn die Freischärler, die die Stadt unter Kontrolle haben, weichen nicht freiwillig.

Jelzin hat sich nun offen zur Fortsetzung des Krieges bekannt. Es waren keine dunklen Kräfte oder Kriegstreiber aus der zweiten Reihe, die die Entscheidung forcierten. Der Präsident hat sie bewußt getroffen. Befürchtungen, Jelzin sei ans Krankenbett gefesselt, das von Diadochen umlagert werde, sind nicht angebracht. Der Präsident, der sich für zwei Tage in die Waldei verabschiedet hat, um zu schauen, ob sich dort urlauben läßt, hat einmal mehr bewiesen, daß er im vollen Besitz seiner Kräfte ist. Auch wenn er nach gewonnener Wahlschlacht der Welt eher ein schlaffes Bild bot, sein Machtinstinkt ist ihm jedenfalls nicht abhanden gekommen.

Die Entscheidung ist wohlüberlegt und ausgeklügelt. Sie richtet sich gegen die Figur Lebeds, der nun strampeln wird, um nicht im Bombenhagel Grosnys unterzugehen. Doch wie sollte der Exgeneral mit den Rebellen Gespräche führen, wenn russische Bomber die Restruinen Grosnys schleifen? Und wie soll der Kremlgesandte den Abzug der russischen Truppen vorbereiten, wenn Grosny noch in der Hand der Rebellen ist? Die Freischärler müssen aus den Trümmern verjagt werden, das können nur Bodentruppen, und die haben in der Vergangenheit bewiesen, daß sie nicht in der Lage waren, ihrem Gegner das Wasser zu reichen. Die Schlacht wird sich über Wochen hinziehen. Der Präsident hat nunmehr seinen Truppen leicht verschlüsselt mitgeteilt, daß der Ausflug in den Kaukasus noch lange nicht beendet ist. Die letzte Friedenschance ist indes auf unabsehbare Zeit vertan.

Lebed kann die Vorgaben nicht einlösen, weil sie sich schon in der Anlage gegenseitig ausschließen. Verhält er sich loyal zum Oberkommandierenden Jelzin, besudelt er seine Hände mit Blut, macht sich mitschuldig und verliert an Glaubwürdigkeit. Ohnehin fällt es dem Soldaten Lebed schwer, sich auf dem politischen Parkett zu bewegen. Allzu oft verwechselt er es mit dem Kasernenhof, wo man grobe Sprüche schätzt. Auch im Streit mit Innenminister Anatoli Kulikow, dem er die Hauptschuld am Debakel in Grosny zuwies, vertat er sich in der Tonlage. Seine Hoffnung, Jelzin würde ihn im Interesse eines baldigen Friedensschlusses Rückendeckung gegen den Innenminister geben, beruhte auf einer fatalen Fehleinschätzung der Vorgänge im Kreml. Lebed geriet in die Defensive. Zwar wurde er nicht gleich ganz demontiert, aber doch gehörig zurechtgestutzt. Jelzin und Premierminister Viktor Tschernomyrdin ziehen dabei am gleichen Strang. Während Lebed Moskaus Präsidentenattrappe in Grosny, Doku Sawgajew, letzte Woche noch als Fürst ohne Volk und Kriegsgewinnler bezeichnete, so traf sich der Premier demonstrativ mit Sawgajew zu Beginn der neuen Kriegshandlungen. Sozialökonomische Fragen Tschetscheniens standen angeblich auf der Tagesordnung. Das gleicht absurdem Theater angesichts einer Stadt, die bald nur noch als topographischer Punkt auf Landkarten existieren dürfte.

Lebed steht in der Gefahr, sich in die Ecke drängen zu lassen. Vielleicht holt er aber auch irgendwann zum Befreiungsschlag aus, wenn die Unzufriedenheit in der Armee weiter um sich greift. Der Halbdemokrat, so seine Selbstcharakterisierung, könnte dann freilich auch noch die verbliebene Hälfte an Demokratie verlieren.

Im Unterschied zu vielen Militärs hat Bärbeißer Lebed aus seinem Dienst in Afghanistan Lehren gezogen. Eine gewaltsame Lösung im Kaukasus hält er für ausgeschlossen. Jeder weitere Kriegstag, so weiß er, zieht neue Freischärler heran, für jeden getöteten tschetschenischen Kämpfer rücken fünf neue nach. Das Gemetzel droht, in einen Volksaufstand umzuschlagen. Jelzin spielt höchst riskant, um die Hackordnung im Kreml zu wahren und einen unliebsamen Diadochen auszumanövrieren.