Der wahrere Blick

■ Buster Yellow Kidney prüft im Museum für Völkerkunde Indianisches

Da kommt einer aus dem Reservat in Montana und erzählt von den Sitten der Indianer: „Wir bezaubern unsere Frauen nicht mit Flötenmusik, sondern schleifen sie an den Haaren ins Zelt. Ich habe meine Frau aus dem Zug geraubt, sie saß da gerade am Fenster, so daß ich sie aufs Pferd zerren konnte...“ Und während die Ethnologen noch mitschreiben unterbricht der knapp 70jährige den Redefluß mit schallendem Gelächter: Witze gehören zur indianischen Erzähltradition.

Zu Gast im Museum für Völkerkunde ist Buster Yellow Kidney, einer der geistigen Führer der Blackfeet, Heiler und Leiter der Sonnentanzzeremonie. Von seinen Großeltern erzogen, repräsentiert er ein Gedächtnis, das bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückreicht. Später, im Alter, wird er vielleicht Medizinmann werden, aber keiner drängt sich in so eine Aufgabe, er dürfte dann auch nicht mehr reisen. Buster Yellow Kidney ist aber auch katholisch – er betrachtet die indianischen Spirits wie Heilige unter der übergeordneten Idee des großen Schöpfergottes. Und er ist ein echter US-Amerikaner, der ein Steak jeder alternativen Gemüsesuppe vorzieht. Er war Soldat im Koreakrieg und Militär-Polizist in Heidelberg, American-Football-Spieler und Polizeichef mit 34 Untergebenen. Erst als Special Agent lernte er die anderen Indianer-Reservate kennen.

Während er im Innenhof des Museums die Schätze der Indianersammlung begutachtet, trägt er eine Baseballkappe, individuell mit Perlen bestickt, und eine Feder daran, die er gerade auf der Straße gefunden hat. Wer immer wieder das eigene alte Wissen mit dem Klischeebild bricht, das generationenlang über die Indianer verbreitet wurde, kennt beide Kulturen bestens. Und das ist für den Ethnologen viel nützlicher als ein in seiner Kultur völlig Befangener. “Mit den Leuten über die Leute reden“, ist das Konzept des Direktors Wulf Köpke und deshalb leistet sich das Museum diese Kontrolle seiner geplanten Herbstausstellung. Seine Frau und er haben aus den USA heutiges Kunsthandwerk mitgebracht, vor allem aber guckt Buster Yellow Kidney die vorhandenen Sachen durch, prüft „copyrights“ und „Kräfte“. Er selbst berührt keines der Objekte, deren alter Zauber für ihn noch greifbar ist, während er uns nichts anhaben kann.

“Sehr seltene Art eines heiligen Papageis“ lautet der Kommentar zu chemisch gefärbten Hühnerfedern...“- und das Objekt ist als Kitsch für Touristen eingestuft. Buster Yellow Kidney klassifiziert, korrigiert falsche Zuschreibungen und erzählt: Von der Peyote-drum, die aus den Holzkisten gebaut wurde, in denen die Weißen einst den Cheddar-Käse herbeischafften, von den chinesischen Münzen am Haarschmuck, die von den Arbeitern der Eisenbahn kamen. Manches wird auch drastisch entmystifiziert: zur Kriegskeule merkt er trocken an: „Hab ich auch, ist gut zum Nageleinschlagen“. Doch nicht auf alles gibt es Antworten: „Ich denke, ich halte das besser geheim“.

Daß die Dinge nicht mehr da sind, wo sie herkommen und hingehören, kann Buster Yellow Kidney als historische Tatsache ertragen. Wenn jemand noch so geheime Dinge einmal weggegeben hat, ist meist der Zauber gebrochen und die Sache ist „frei“ aber auch „tot“. Denn was ist schon damit anzufangen, wenn man nicht weiß, wofür es gut war. Im Museum zerfallen die Dinge mit der Zeit. Und wenn wir dafür Milben, Pilze und Käfer verantwortlich machen, weiß Buster Yellow Kidney es besser: „Die Objekte werden schlecht, weil der Spirit sie verlassen hat. Es ist wie mit einer Wohnung: nur wenn man sie benutzt, bleibt das Leben darin“. Er selbst besitzt 300 Jahre alten, tadellos erhaltenen Federschmuck und er weiß von 500 jährigen Sachen, die die Zeiten unbeschadet überstanden haben.

Hat Buster Yellow Kidney eine zentrale politische Botschaft? „Den eigenen Leuten helfen, verstanden zu werden und den anderen, die Sachen zu verstehen. Und was das Politische angeht: gerade hat die Umweltbehörde den Bergbau in den heiligen Bergen „Badge Two Medicine“ verboten: das ist das, wofür ich 16 Jahre gekämpft und gebetet habe“. Und so kann er zum Abschluß seines Besuchs beruhigt das traditionelle Pemmikan kochen: aus Knochen und Beeren und getrocknetem Büffelfleisch.

Hajo Schiff