Selbstreproduzierende Kleinflugkörper Von Karl Wegmann

Mit Willy ist in diesen Tagen nicht viel anzufangen. Er gestaltet seinen Garten neu. Unter anderem baut er auch einen Hühnerstall, nein, halt, das ist falsch, es wird wohl mehr ein Hühnerfreilaufgehege. Trotzdem kann ich mir eine dumme Bemerkung nicht verkneifen. „Na, wie weit bist du mit dem Knast, kann die Ausbeutung des Federviehs bald losgehen?“ frage ich. Willy legt den Hammer weg, bekommt diesen gefürchteten pädagogischen Blick und schnauzt: „Komm mit!“

Wir setzen uns ans Feuchtbiotop. Willy holt zwei Bier und eine Zeitung. „Eine Quizfrage“, sagt er und beginnt vorzulesen. „Was ist ein ,selbstreproduzierender Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit festprogrammierter automatischer Rückkehr aus beliebigen Richtungen‘?“ – „Keine Ahnung“, gebe ich zu, „hört sich an wie eine neue Waffenentwicklung aus dem Gentechlabor.“ – „Falsch!“ bellt Willy. „Es handelt sich um eine gewöhnliche Taube. Das Zitat stammt aus einem Papier der Schweizer Armee, die haben gerade ihre 30.000 Brieftauben entlassen. Das nenne ich ,Ausbeutung des Federviehs‘.“ Ich bin verwirrt. „Massenentlassungen von Tauben nennst du...“

„Quatsch!“ unterbricht er mich barsch. „Die Ausnutzung von bestimmten Fähigkeiten der Tiere für die Perversitäten der Menschen, wie zum Beispiel Krieg, das nenne ich kriminell. Die artgerechte Haltung von Hühnern gehört nicht dazu.“ Und dann hält er mir einen langen Vortrag über Tiere im Krieg. Er erzählt von Hannibals Elefanten und den Wildschweinen, die die Karthager mit Pech einrieben, anzündeten und auf die Elefanten losließen. Er berichtet von Meldehunden, Pferden und Delphinen, die die US- Army dazu abgerichtet hatte, Sprengladungen an feindlichen Schiffen anzubringen. „Das ist übelste Ausbeutung!“ ereifert er sich. „Überhaupt ist jede Dressur, jede nicht artgerechte Aufzucht von Tieren...“, so geht es ungefähr eine Stunde lang weiter. Als Willy anfängt, ausgiebigst Horst Stern zu zitieren, schalte ich auf Durchzug und starre intensiv meine leere Bierflasche an.

Doch dann wird Willy unterbrochen. Konscho kommt ganz aufgeregt auf uns zu: „Ihr werdet es nicht glauben“, prustet er los, „aber ich habe ja schon immer gesagt, daß unser Charlie der intelligenteste Hund ist, den ich kenne!“ Eigentlich hassen wir alle Konschos Charlie-Geschichten, aber als er sich jetzt aufpumpt und voller Stolz verkündet „Ich habe ihn dressiert!“ und Willy zur Salzsäule erstarrt, bin ich doch interessiert. „Also“, fährt Konscho fort, „es hat fast drei Wochen gedauert, aber heute morgen hat es zum ersten Mal funktioniert.“ Er schaut uns erwartungsfroh an. „Was denn, nun sag schon!“ Ich spiele gern mit. Konscho strahlt: „Charlie geht allein zum Bäcker und holt Brötchen!“ „Is' nich' wahr!“ entfährt es mir. „Doch! Ich gebe ihm ein Bastkörbchen, lege Geld und einen Bestellzettel rein, er nimmt es mit der Schnauze auf und...“

In diesem Augenblick explodiert Willy.

Für mich wurde es noch ein überaus unterhaltsamer Abend. Ich holte mir mein Bier selbst und genoß die grausame Lektion in Demut, die Konscho da verpaßt bekam. Auf die nächste Charlie- Geschichte bin ich wirklich gespannt.