Die Mühseligkeit einer Gewöhnung

■ Aufsteiger Bielefeld ist nach dem häuslichen 1:2 gegen den FC St. Pauli endgültig hart in der Bundesliga aufgeschlagen

Bielefeld (taz) – Da, wo sie herkommen, geht es nicht vornehm zu. Da ist der Kiez um die Ecke und das Leben ein Kampf. Wenn du verlierst, gibt es eine Narbe mehr, wenn du gewinnst, eben keine. Viele Menschen haben viele Narben auf St. Pauli, aber dafür haben sie gelernt, sich zu wehren.

Der Bielefelder Fußballmanager Rüdiger Lamm hat das schwarz auf weiß. Sein Stadion Alm hat er vom baufälligen Amateurstandard dem frisch gewonnenen Bundesliganiveau anpassen lassen. Häuslich einrichten in der Eliteliga wollen die Arminen sich und es dabei schön haben, mit vielen Sitzplätzen, Logen für die Reichen, Dächern wenigstens über den Ärmeren, schicker Anzeigetafel und was man sonst so versteht unter Komfort. Weil dafür zwei Monate Modernisierungszeit nicht ganz reichen wollten, fehlten zum Bundesliga-Heimauftakt gegen St. Pauli vor allem die Flutlichter, weswegen der Kick fantourismus-unfreundlich bereits um 18 Uhr begann. Darüber haben die St. Paulianer sich per Fax beschwert und über die zur Verfügung gestellten 30-Mark-Sitzplatzkarten, weil das zu teuer ist und Fußball überhaupt nur, wenn der Fan steht.

Für die Zustimmung zum Termin bekamen sie 500 Sitzplatzkarten zum Stehpreis. Unten auf dem Rasen demonstrierten dann ihre Stadtteil-Repräsentanten dem Aufsteiger abgeklärten Fußball, oben auf den Rängen die Anhänger Kreativität in den Gesängen: Der Einstieg begann mit Häme („Ihr seid nicht ausverkauft“), und als bei den heimischen Fans 85 Minuten lang angesichts der Hilflosigkeit ihres Teams keine Stimmung aufkam, setzten sie fort mit feinen Ironien („Hexenkessel, Hexenkessel“). „Uli ist für uns“, jubelten sie, als der Torwart Stein hilflos mit ansehen mußte, wie der Sturm-Alleinunterhalter Scharping kurz vor der Halbzeit mit ein, zwei Haken drei Abwehrspieler düpierte, um den Ball aus 16 Metern seelenruhig im Tor zu versenken.

Nichts war zu erkennen davon, daß „das eine zusammengekaufte Mannschaft ist mit tollen Namen und damit kein Aufsteiger im eigentlichen Sinn“ (St. Paulis Coach Maslo). Ideenlos hat der Gastgeber zuerst die dichte Igel-Deckung der Kiezianer mit langen Bällen bespielt, dann später die Flankenläufe nicht einmal dazu genutzt, den Ball clever von der Toraus-Linie auch mal in den Rücken des Gegners zu spielen. Erst der unbedarfte Stürmer Studtrucker, seit drei Jahren vor jeder Serie bereits aussortiert und vom Verein auf der Geschäftsstelle angestellt, „hat die Bremse nicht gespürt“ (Arminia- Trainer Middendorp), die die Kollegen lähmte. Kurz vor Schluß nutzte er einen Fehler des Brasilianers Emerson und weckte mit seinem und des Teams erstem Bundesliga-Treffer Bielefeld aus seiner Lethargie. Unterdessen beobachtet der Bielefelder Manager Lamm die ganze Stimmung sehr genau: Erst 11 VIP-Logen besetzt von 48, erst 8.000 Dauerkarten verkauft, insgesamt nur 19.500 Menschen im Stadion statt ausverkauft mit 22.500 beim ersten Bundesligaspiel seit elf Jahren und dann auch noch die fast emotionslose Ruhe von den Rängen. Wie die Kicker unten auf dem Feld, fürchtet Lamm nun, braucht Bielefeld seine Zeit, um sich an die Bundesliga zu gewöhnen. Jörg Winterfeldt

FC St. Pauli Hamburg: Böse - Stanislawski (81. Pisarew) - Dammann, Eigner - Hanke, Driller, Sobotzik, Trulsen, Pröpper, Springer (57. Schweißing) - Scharping (65. Emerson)

Zuschauer: 18.000

Tore: 0:1 Scharping (45.), 0:2 Eigner (55.), 1:2 Studtrucker (85.)

Arminia Bielefeld: Stein - Stratos - Meißner (46. Bode), Hobday, Silooy (71. Studtrucker) - Reeb, von Heesen, Maas, Maul (69. Gerber) - Rauffmann, Kuntz