Nach der Werbung...

■ Wird Schreinemakers abgebrochen? Die taz hat schon die Antwort. Ein Szenario

20.30 Uhr: Noch einen halbe Stunde bis zur Sendung. Margarethe Schreinemakers joggt eine letzte Runde um den Kölner Studiokomplex. Immer wieder muß sie an Theo Waigel denken. Mit Schattenboxen versucht sie die düstere Erscheinung zu vertreiben. Zur selben Zeit geht Fred Kogel im Mainzer Sendezentrum den sogenannten „Margarethe-Plan“ durch. Den Zahlencode für die Abschaltautomatik verwahrt er in einem verschlossen Aktenkoffer.

20.34: Die Visagistin legt letzte Hand an Stargast Jürgen Drews, der sich am kostenlosen Champagner bedient. In der nahen Steueroase Belgien hat es sich Schreinemakers Ehemann Werner Klumpe vor dem Fernseher bequem gemacht. Die Kinder sind im Bett.

20.42: Das Studiopublikum schwitzt. Eine Abordnung anonymer Steuerzahler will während der Sendung ein Transparent entrollen, auf der in großen Lettern steht: „Zahl die zwanzig Mille – sonst gibt's was auf die Pille.“ In der ersten Reihe sitzt Jörg Wontorra als Einklatscher für alle Fälle.

21.00: Nach einem Werbespot für Urlaub in der Karibik erscheint Schreinemakers im roten Einteiler. „Die Babypause im deutschen Fernsehen ist vorbei“, begrüßt sie ihr applaudierendes Publikum. Auch in der wenige Kilometer entfernten RTL-Kantine sitzt ein Mann und klatscht. Es ist Helmut Thoma.

21.20: Eine 37jährige Lehrerin aus der Schweiz schildert ihre Liebe zu einem verurteilten Mörder und die Probleme mit der Justiz. Schreinemakers nickt wissend.

21.49: Auch während des Gesprächs mit Stefan Effenberg über chinesischen Federfußball kein Wort von der Steueraffäre. Aufatmen bei Fred Kogel. Nur das ständige Handy-Klingeln nervt. In der Leitung ist Waigels Exfrau Karin, die immer wieder denselben Satz auf die Mailbox spricht: „Ich glaube nicht an Theos Rache.“

22.17: Ermüdungserscheinungen bei Schreinemakers. Im Gespräch mit Jürgen Drews macht sich die Schwangerschaft bemerkbar. Kurz fallen ihr die Augen zu. Wontorra kramt in seiner Sakkotasche nach der Notmoderation.

22.56: Schreinemakers ist wieder voll da. Ein Piccolo in der Werbepause hat Wunder gewirkt. Mit gekonnt geheucheltem Mitleid befragt sie die Kajak-Vierte Birgit Fischer nach der Zwangsräumung ihrer Wohnung. Als die weinende Olympionikin den Gerichtsvollzieher erwähnt, kramt Kogel hektisch nach dem Alarmcode. Im nahen Steuerparadies Belgien erwacht Schreinemakers' Baby. Das Schreien mischt sich mit dem fernen Gewitter. In der Garderobe köpft Jürgen Drews seine zweite Flasche Schampus.

23.26: Im Publikum erleidet eine Frau aus Wuppertal beim Thema „Schwindelgefühle“ einen Schwächeanfall. Den freien Platz übernimmt ein Mann mit auffallend buschigen Augenbrauen. Auf dem Schoß von Jürgen Drews nimmt eine Produktionsassistentin Platz.

23.48: Panik in Mainz. Vor dem letzten Werbeblock hat Schreinemakers einen Beitrag in eigener Sache angekündigt. Der Einwand von Geschäftsführer Grimm, daß es sich dabei wahrscheinlich um ein Video von der Geburt handele, wischt Kogel vom Tisch. Er reaktiviert die Ausblendsperre. Der angeheiterte Jürgen Drews sucht nach seiner E-Gitarre.

23.52: Der letzte Werbespot läuft. Jörg Wontorra probt mit dem Publikum noch einmal die Rakete. Nur der Mann mit den buschigen Augenbrauen macht nicht mit. In der Garderobe sucht Jürgen Drews einen Anschluß für die E-Gitarre. Etwas benommen vom billigen Schampus rammt er das Kabel in irgendeine Steckdose.

1 Sekunde später: Im Studio flackern die Scheinwerfer, über ganz Köln gehen die Lichter aus. Jürgen Drews' E-Gitarre hat Feuer gefangen. In Mainz sackt Kogel erleichtert in seinem Stuhl zusammen. Sechs Millionen ZuschauerInnen schalten um auf die Tagesthemen. Über dem Steuerparadies Belgien ist der Himmel wieder klar. Bodo Wengefeld