Auch du wurdest gerade gelöscht!

In „Eraser“ kämpft Arnold Schwarzenegger mit mäßigem Erfolg und High-Tech- Superwumme gegen die Dienstleistungsgesellschaft  ■ Von Tilman Baumgärtel

Am Ende von „Eraser“ stehen sich Arnold Schwarzenegger und James Caan nach einer Verfolgungsjagd durch eine Waffenfabrik plötzlich allein in einem langen, weißgetünchten Gang gegenüber. Sie haben sich durch den ganzen Film gejagt. Caan (der Böse) hat seinen ehemaligen Freund und Kollegen Schwarzenegger (der Gute) erst verraten, dann versucht, ihn umzubringen.

Als sie jetzt überraschend miteinander konfrontiert werden, stehen viele Menschenleben auf dem Spiel. Wenn Caan überlebt, wird eine neue Wunderwaffe in die Hände der Russenmafia geraten. Und wahrscheinlich wird auch Vanessa Williams sterben, die Schwarzenegger, der Agent eines Zeugenschutzprogramms ist, beschützen soll.

Doch obwohl sie sich direkt gegenüberstehen und aufeinander feuern, wird keiner der beiden getroffen. Als würde ein Geist die Kugeln aus der Luft fischen, scheinen die Geschosse lautlos im Flug zu verschwinden, ohne den Körper des Gegners zu erreichen. Nach mehreren Salven blicken beide verblüfft auf die rauchenden Mündungen ihrer Waffen, dann auf ihren unverletzten Kontrahenten, dem sie gegenüberstehen wie ihrem eigenen Spiegelbild. Der Actionfilm „Eraser“ leistet sich eine Situation, die nicht mit Gewalt gelöst werden kann...

Ein gutgeputztes und darum unsichtbares Tor aus Glas teilt den Gang des High-Tech-Labors, wie wir sehen werden. Darum wird keiner getroffen. An der schußsicheren Scheibe prallen die Geschosse der beiden Gegner ab wie Flipperkugeln. Ein Überraschungstrick, weiter nichts. Und natürlich wird Schwarzenegger seinem Gegner am Schluß des endlosen Showdowns sein schmutziges Handwerk legen. Diese Duellszene ist mir im Gedächtnis haftengebleiben, weil sie mehr ist als ein verblüffender Effekt in einem Actionfilm. Sie beschreibt ein Dilemma, das es dem traditionellen, narrativen Kino immer schwerer macht, seine Geschichten zu erzählen.

Dem Action-Kino fehlen Motive

Dem Kino, das bisher von physischer, abfilmbarer Aktion, von Bewegung, Geschwindigkeit, Tempo lebte, gehen die Motive verloren. Das „Bewegungsbild“ (Gilles Deleuze) des narrativen Kinos braucht physische Action, auf die es seine Kameras richten kann. Doch in der wirklichen Welt, in unserem Nicht-Kino-Alltag, verschwindet gerade diese physische Aktion jeden Tag ein Stück mehr. Sie wird ersetzt durch höchst abstrakte, optisch nicht mehr darstellbare Prozesse in Computern, Datennetzen, in Apparaturen. Das Sichtbare verschwindet in der Technologie – und damit das, wovon das Kino seit über hundert Jahren lebt.

„Eraser“ ist ein besonders nachdrücklicher Versuch, so zu tun, als könnte man das Verschwinden der sichtbaren Welt in der gestaltlosen Technik igonorieren. Die unsichtbare Wand aus kugelfestem Glas in der oben beschriebenen Szene repräsentiert den stummen Zwang der Verhältnisse in der technisierten und computerisierten Welt. Statt Gegnern aus Fleisch und Blut stehen Schwarzenegger und Caan einer unpersönlichen, technologischen Macht gegenüber, gegen die ihre MG-Kugeln nichts ausrichten können. Die noch nicht einmal mehr zu sehen ist.

„Eraser“ verteidigt das Recht auf Darstellbarkeit mit dem Schnellfeuergewehr. Als Schwarzenegger kapiert, daß zwischen ihm und Caan eine Fensterscheibe ist, feuert er auf den Rauchmelder unter der Decke. Sprinkleranlage und Feueralarm legen los, and here we go again: Wasser spritzt von der Decke, die Glasscheibe schiebt sich hoch, die kurze Atempause ist vorbei, und weiter geht die Verfolgungsjagd nach alter Manier – treppauf, treppab, durch Hinterhöfe, Schrottlager, Hafenanlagen.

Wieder und wieder rekapituliert „Eraser“ diesen Akt der Revisualisierung von unanschaulichen, technischen Vorgängen: Als in einem Bürogebäude der Strom ausfällt und der Computer die überlebenswichtige CD-ROM nicht ausspuckt, hilft wieder nur eine kurze Salve mit der MG, um das Chassis des Rechners zu knacken. Später, als Schwarzenegger zum großen Abschluß-Shoot-out schreitet, wirft er mit nonchalanter Geste sein Handy weg. Von hier an hilft keine draht- und körperlose Technik mehr, sondern nur noch pure physische Gewalt. Und auch die High-Tech-Superwumme, um die sich der Film dreht, ist nicht mehr zu gebrauchen, als das Starkstromkabel reißt und der Saft weg ist. Schwarzeneggers altmodisches, mechanisches Maschinengewehr dagegen: Es schießt und schießt und schießt...

Interessanterweise spielen in „Eraser“ auch Mitglieder einer Industriegewerkschaft eine positive Rolle. Am Schluß des Films kommen Schwarzenegger eine Handvoll übergewichtiger Italoamerikaner aus dem Gewerkschaftsbüro der Hafenarbeiter mit ihren rohen Fäusten zu Hilfe. Die Szene am Hafentor sieht fast aus wie eine Parodie auf die Streiks und Arbeitskämpfe, die es in den USA schon lange nicht mehr gibt. Ein Wachposten, der mit körpergestütztem Funkgerät und anderen technischen Klimbim armiert ist, kriegt nach alter Väter Sitte eins auf die Glocke: „You just don't fuck with the union!“

Die Arbeiterklasse ist unsichtbar

„Du wurdest gerade gelöscht“, heißt es in „Eraser“ wieder. Auch die Arbeiterklasse im US-Film – und in den USA – ist nicht mehr sichtbar, weder im Alltagsleben noch im Kino. Die Deindustrialisierung Amerikas ist vom Film mitvollzogen worden. Hart arbeitende blue collar-Menschen mit Würde und Selbstbewußtsein, die ewigen little Joes aus Frank Capras Filmen sind im amerikanischen Kino kaum noch zu sehen. Statt dessen gibt es jede Menge verwahrlosten white trash, den man als tragische Figur ohne Krankenversicherung in einem Wohnwagen auf dem Schrottplatz lebend besichtigen kann.

„Eraser“ ist nur einer von mehreren neuen amerikanischen Mainstream-Filmen, die sich mit dem Problem der Computerisierung und dem Verschwinden des Sichtbaren befassen: Auch in „Mission Impossible“ geht es um Computer und eine Syquest-Disk, auf der eine Liste von amerikanischen Spionen gespeichert ist; und Tom Cruise fahndet sogar im Internet nach den Dieben. In „Copykill“ bekommt Sigourney Weaver ihre Morddrohungen per E-Mail (inklusive Java-Applet!), statt mit der Schneckenpost, und loggt sich zum Internet Relay Chat ein; der Mörder schneidet die Filme von seinen Opfern auf einem PowerMac. In „Assassins“ gehen Sylvester Stallone und Antonio Banderas als Profikiller nicht nur mit Maschinengewehren, sondern auch mit ihren Laptops aufeinander los. (Freilich hat der Film ein sinnlicheres Verhältnis zu den Waffen als zu den Computern: Banderas streichelt und küßt sein Gewehr, das PowerBook wird nur angeschaltet und zugeknallt.)

Zwei Dinge braucht jeder Film, soll David W. Griffith gesagt haben: A girl and a gun, ein Mädchen und eine Knarre. James Caan bringt diesen Merksatz in „Eraser“ auf den neuesten Stand der (Digital-)Technik, als er brüllt: „Get the girl! Get the gun! And get the disk!“ Ein Mädchen, eine Knarre und eine Diskette – „Eraser“ versucht, aus diesen Ingredienzen ein Filmdrama zu machen.

Die Rache der Verlierer

„Eraser“ endet mit einer symbolischen Szene. Eine Ikone der industriellen Revolution – und des Kinos – hat im Grande Finale des Films einen Gastauftritt: die Eisenbahn. Ein Güterzug zermörsert das Auto, in dem die High-Tech-Banditen eingespert sind, weil Schwarzenegger an der elektronischen Türverriegelung (!) gebastelt hat. Einer der Gewerkschafter sieht wohlgefällig zu. Das ist die Rache der Modernisierungsverlierer: Wenn wir schon von der Technik überflüssig gemacht und im Kino ausradiert worden sind, dann nehmen wir euch wenigstens mit. Wenigstens dieses eine Mal, in diesem einen Film. Ich stelle mir vor, daß diese Szene in einem amerikanischen Kino beim proletarischen Publikum zustimmendes Gebrüll und Szenenapplaus auslösen dürfte. „You've just been erased“, sind die letzten Worte des Films.

„Eraser“. Regie: Charles Russel. Mit Arnold Schwarzenegger, James Caan, Vanessa Williams und anderen; USA 1996