piwik no script img

Wir haben den Scheiß nie gewollt

■ betr.: „Der lange Marsch in den Ausstieg“, taz vom 6.8. 96, „Ohne Endlager AKWs stillegen“, taz vom 14.8. 96

[...] In der jüngsten Zeit werden immer öfter Forderungen laut, die Anti-Atom-Bewegung müsse der Glaubwürdigkeit halber konstruktive Vorschläge zur ungelösten Frage der Entsorgung des Atommülls machen. Der Beitrag von K.-P. Klingelschmitt stößt ins gleiche Horn. Dies möchten wir nicht unwidersprochen so stehen lassen, zumal anscheinend immer mehr MitstreiterInnen diesem Argumentationsdruck nachgeben (z.B. der BBU mit seinem Vorschlag der Einbetonierung von Hanau).

Wohin derartige Vorschläge führen, kann an dem zitierten Beispiel nachvollzogen werden: Der BBU macht sich lächerlich, unglaubwürdig und letzten Endes mitschuldig. Das ist genau der Punkt, den sich die Atomlobby wünscht: die AtomkraftgegnerInnen in die Verantwortung einzubinden, um 1. von der eigenen Verantwortung abzulenken und 2. die Bewegung durch Spaltung zu schwächen (wer will schon ein Endlager vor der eigenen Haustür haben).

Wir haben diesen Scheiß nicht erfunden, wollten ihn nie haben und halten es deshalb mit einem der „Väter“ der Anti-Atom-Bewegung: „Abgesehen davon, daß eine solche Argumentation die grundsätzliche Kritik an der Atomenergie schwächt, sehe ich auch überhaupt keinen Grund, warum wir uns verpflichtet fühlen sollten, in irgendeiner Weise konstruktiv mitzuarbeiten. Sollen doch die politisch Verantwortlichen nach erfolgter Stillegung aller Atomanlagen und Beendigung des Atomprogramms das in den großen Atomforschungszentren vieltausendfach versammelte Gehirnschmalz einzig auf den Zweck orientieren, die relativ am wenigsten gefährliche Behandlung des Atommülls herauszufinden – ich werde dennoch jedes Konzept kritisieren, denn jedes Konzept wird zu Gesundheitsschäden und Tod von Menschen führen, und kein zustimmendes Wort wird dazu je über meine Lippen kommen.“ (In memoriam Jens Scheer, taz vom 23.10. 93).

Zustimmen können wir der Einschätzung, daß die Taktik der Anti-Atom-Bewegung in bezug auf die politische Einschätzung der Endlagerfrage zu hinterfragen ist. Nach wie vor ist zwar die ungelöste Entsorgungsfrage ein wichtiges Argument, um neue MitstreiterInnen zu gewinnen. Andererseits hat die Atomlobby keinerlei Interesse an der Lösung dieser Frage. Sie verdient nämlich gut daran und hat mittlerweile durch die im Atomgesetz für die Entsorgung festgeschriebenen Rückstellungen eine Summe von 45 Milliarden Mark sammeln können, steuerfrei und zur freien Verwendung. Dieses „Spielgeld“ dient dem weiteren Ausbau der Monopolisierung in vielen anderen Bereichen: Grüner Punkt. Wasserwirtschaft. Telekommunikation, um nur die wichtigsten zu nennen. Nicht umsonst wird der Scharfmacher der Atomlobby, Dr. Steuer (Chef des deutschen Atomforums und der Energieversorgung Schwaben), nicht müde zu betonen, daß ein Endlager frühestens im Jahre 2030 gebraucht würde.

Insofern ist die Taktik, die vorgeschobene Zwischenlagerung in Gorleben und anderswo zu blockieren, bei gleichzeitiger Forderung nach sofortigem Ausstieg und keiner weiteren Verdrängung der Endlagerfrage das richtige Konzept. Die heftigen Kontroversen im Bundestag am 9.5. 96 haben gezeigt, daß dieser Zusammenhang in der Politik sehr wohl begriffen wurde.

Der für Anfang November angekündigte Castor-Sammeltransport nach Gorleben soll nach dem Willen der Atomlobby weitere Tatsachen schaffen, um mangels Alternativen den ungeeigneten Salzstock in Gorleben durch „Sachzwänge“ eines Tages für endlagergeeignet zu erklären. [...]

Dies zu verhindern ist und bleibt Ziel der bundesweiten Anti- Atom-Bewegung, gerade auch im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Eintritt Deutschlands in die Riege der Atomwaffenstaaten durch den Baubeginn in Garching. Deshalb: Für den 7.9. 96 wird bundesweit mobilisiert, um entlang der Transportstrecke im Wendland den Willen und die Entschlossenheit des Widerstands zu dokumentieren, egal ob der Transport nun im Herbst bei dunkler Nacht oder wann auch immer durchgeführt oder abgesagt wird. Sandy, für das Anti-Atom-

Plenum Berlin am 10.8. 96

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen