In Paris liegen die Nerven blank

■ Der erste der afrikanischen Hungerstreikenden in der Kirche Saint-Bernard liegt im Krankenhaus. Während die Sympathie für die Protestaktion wächst, schwankt die Regierung zwischen Sturheit und Streit

Paris (AP/dpa/AFP/taz) – Morgen sind es 50 Tage, die zehn der insgesamt rund 300 AfrikanerInnen in Frankreich im Hungerstreik sind. Seit Monaten kämpfen sie mit immer neuen Besetzungsaktionen gegen ihre Ausweisung. Vorgestern abend wurde der erste Hungerstreikende, der 29jährige Moussa Keita aus Mali, wegen akuter Schwäche in ein Krankenhaus gebracht. Alle, auch er, wollen ihren Hungerstreik fortsetzen und damit zumindest Verhandlungen über die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen erzwingen. „Sie sind sehr schwach, einige haben Schwierigkeiten zu gehen“, berichtet ein Notarzt, der die Hungerstreikenden betreut.

Längst sind die 300 „sans-papiers“, wie sie ob ihrer fehlenden Papiere genannt werden, zum alles bestimmenden Sommerthema Frankreichs geworden. Längst geben sich prominente UnterstützerInnen, von Präsidentenwitwe Danielle Mitterrand bis zum Bischof Jacques Gaillot, die Klinke des Portals der besetzten Kirche Saint- Bernard in die Hand. Hilfskomitees bilden Menschenketten, um eine plötzliche Abschiebung der AfrikanerInnen zu verhindern. Zehn französische Linksparteien – an der Spitze Sozialistenchef Lionel Jospin und Kommunistenführer Robert Hue, die sonst nicht oft zusammen auftreten – forderten in einem gemeinsamen Appell von Staatschef Jacques Chirac, Einfluß auf die Regierung zu nehmen, um in Verhandlungen zu treten.

Gestern nun hat Chirac genau damit begonnen – auf niedrigstem Niveau. Aus seinem Urlaub heraus, so meldete die Zeitung Le Monde, verdonnerte er Premierminister Alain Juppé, den Staatsrat anzurufen, um die Umsetzungsbedingungen der umstrittenen verschärften Ausländergesetze von 1993 zu überprüfen. Damit wolle die Regierung Zeit gewinnen. Gleichzeitig stünde, wie schon bei den Massenstreiks des vergangenen Winters, Juppé und nicht Chirac in der Schlußlinie des Protests.

Zuvor hatte Chiracs Regierung wochenlang den Eindruck ausgesprochenen Nichtstuns erweckt. Allen voran der zuständige Innenminister Jean-Louis Debré, der sich empörte, daß „Schreihälse“ sich einmischen, während er doch nur das Gesetz anwende. Die Untätigkeit dauerte so lange, daß Anfang dieser Woche der Streit die Ränder der Regierungskoalition erreichte. „Die Rechte am Rande des Nervenzusammenbruchs“ titelte gestern die Zeitung Libération. Der Grund: Gilles de Robien, Fraktionschef des liberalen Regierungspartners UDF, hatte entgegen der harten Linie des zur gaullistischen RPR gehörenden Innenministers eine Abordnung der AfrikanerInnen empfangen und sich für Gespräche mit ihnen eingesetzt. „Die einzelnen Fälle verdienen eine genaue Prüfung“, erklärte de Robien, „es handelt sich um Frauen und Männer, nicht um Sachen.“ Premierminister Juppé eilte daraufhin aus dem Urlaub zu einem Krisengespräch mit dem Störenfried zurück. Demnächst soll es sogar eine Sondersitzung des Kabinetts geben.

Aber was die Regierung eigentlich machen will – jenseits der in Aussicht gestellten erhöhten „Starthilfen“ nach der Abschiebung –, bleibt unklar. Die ersten Ausweisungsbescheide sind nach Regierungsangaben bereits unterwegs: An die „Wohnadresse“ der AfrikanerInnen – wo immer das sein mag.