Leukämie in Krümmel vor Gericht

Bundesverwaltungsgericht hebt Urteil der Vorinstanz auf. Verwaltungsrichter in Schleswig müssen nun prüfen, ob das AKW Krümmel auch nach neuesten Erkenntnissen sicher genug ist  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Mit der Häufung von Leukämie am AKW Krümmel und mit allen radiologischen Auswirkungen des Kraftwerksbetriebes muß sich demnächst das Oberverwaltungsgericht Schleswig auseinandersetzen. Dazu hat gestern in Berlin das Bundesverwaltungsgericht seine Kollegen in Schleswig-Holstein verpflichtet. Das Bundesverwaltungsgericht gab einem Revisionsantrag der niedersächsischen BUND-Vorsitzenden Renate Backhaus statt und verwies deren Klage gegen den Einbau neuartiger Brennelemente ins AKW zurück an das OVG.

Die obersten deutschen Verwaltungsrichter in Berlin verpflichteten ihre norddeutschen Kollegen insbesondere, die brisante Frage zu prüfen, ob schon der normale, genehmigte Betrieb des AKW Krümmel für die Häufung der Leukämie in der Elbmarsch verantwortlich ist.

Die Entscheidung in Berlin hat grundsätzliche Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht schränkte nämlich erstmals die Reichweite einmal erteilter AKW- Betriebsgenehmigungen kräftig ein. Die Vorinstanz hatte bei dem jetzt revidierten Urteil gegen Backhaus nur geprüft, ob sich zusätzliche Risiken aus den neuen Brennelementen ergeben, gegen die die BUND-Vorsitzende geklagt hatte. Dabei hatte das OVG keine negativen Auswirkungen der neuen Brennelemente feststellen können und die Häufung von Leukämie in der Elbmarsch erst gar nicht berücksichtigt.

Dem Bundesverwaltungsgericht reichte diese Schmalspurprüfung nicht aus: Bei jeder Änderungsgenehmigung, wie sie in Krümmel für die neuen Hochabbrand-Brennelemente notwendig war, müsse die Genehmigungsbehörde erneut prüfen, ob die veränderte Anlage noch dem Gebot der Schadensvorsorge entspreche, entschieden die Berliner Richter. Damit kommt bei Änderungsgenehmigungen künftig der schon lange erlaubte Normalbetrieb von AKWs teilweise wieder auf den Prüfstand. Für Krümmel verlangen die Berliner Richter eine erneute Bewertung aller vom Reaktorkern ausgehenden Effekte, zu denen sie ausdrücklich auch „die radiologischen Auswirkungen des Kraftwerksbetriebes“ zählen. Diese wollen sie unabhängig davon überprüft sehen, ob sich durch die neuen Hochabbrand-Brennelemente die radiologischen Auswirkungen „von denen des bisher zulässigen Betriebes unterscheiden oder nicht“. AKW-Betreiber können sich also künftig nicht mehr auf einmal erteilten Genehmigungen ausruhen.

Der Sprecher des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) in Schleswig, Manfred Voswinkel, sagte, die Entscheidung sei offenbar eine völlige Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Offenbar sei durch den elften Senat der neue Grundsatz aufgestellt worden, daß trotz bestandskräftiger Dauergenehmigung bei wesentlichen Änderungen die gesamte Sicherheit der Anlage neu auf den Prüfstand müsse. Die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) als Betreiberin des AKW Krümmel befürchteten gestern negative Auswirkungen auf die deutsche Kerntechnik. Das Urteil würde sich änderungshemmend und damit gegen die kontinuierliche Verbesserung der Sicherheit deutscher AKWs auswirken. KekKommentar Seite 1