Auf Besuch in Halberstadt

Im Nordharz startete das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung seine 96er Infobustour  ■ Von Kathi Seefeld

Am begehrtesten sind die Beutel – die aus Stoff mit dem gerissenen Herzen, das von einem schwarzen Faden zusammengehalten wird, der aus dem Wort „Einheit“ rausläuft. Dann steht auf der Tasche noch „gemeinsam“ und „gestalten“. „Kann ich so einen bekommen? „Was, den krieg' ich umsonst? Danke schön!“ Halberstädter, besonders die Rentner, sind höfliche Menschen.

Hier, wo sie zu Hause sind, am Rande des Nordharzes, in jener einst kriegszerstörten Stadt ohne richtiges Zentrum, ist dienstags Markttag auf dem Breiten Weg. Doch die Sonderangebote müssen diesmal warten. Denn direkt neben der blonden Gemüse-Walli hat schon am Tag zuvor eine andere Attraktion Stände und Mobile aufgebaut: Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung startete in der mehr als vierzigtausend Einwohner zählenden Stadt seine diesjährige Infobustour durch die neuen Bundesländer. Eine zweite Truppe übernimmt parallel dazu die Südroute vom sächsischen Chemnitz aus. 18 Städte insgesamt werden bis zum 7. September bereist.

Halberstadts Oberbürgermeister Georg Busch appellierte an die Bürger, das Angebot zu nutzen: Der Bedarf an Aufklärung in Zeiten zunehmender „Verrechtlichung“ sei groß. Die Halberstädterin Annemarie Graumann hielt sich daran, auch wenn sie „nur mal genau“ wissen wollte, weshalb sie so wenig Rente erhält.

Im T-Shirt oder Blümchenkleid – nur einige wenige erschienen bei dem guten Wetter im beamtentypischen Outfit – stellten sich Vertreter von Bau-, Justiz-, Arbeits-, Bildungsministerium sowie vom Auswärtigen Amt nebst Mitarbeitern des Landratsamtes den informationsbedürftigen Halberstädtern. Dabei ist es offensichtlich nicht leicht, von 10 bis 17.30 Uhr auf der Straße zu stehen, wenn man sonst den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt: Für eine war bereits am ersten Tag alles vorbei: Bandscheibenvorfall.

Infobustouren durch die neuen Länder seien nach wie vor wichtig, argumentiert Bernd Runge vom Organisationsteam der Tour. „Es gibt noch immer sehr viel Rechtsunsicherheit.“ Die meisten Sorgen hätten die Halberstädter mit Mietzinsfragen, Wohngeld, aber auch mit Rückübertragungsgeschichten, ehemals jüdischem Besitz, mit Rente und mit Pflegeversicherung.

Dementsprechend sind die vermeintlichen Obstkisten vor Gemüse-Wallis Stand auch zentnerweise mit Broschüren gefüllt. 105 Titel können „gezielt nach den Wünschen der Besucher verteilt werden“, auch die begehrten Tragebeutel. „Ich glaube, wir sind eine ganz gute Truppe, die sich mit sehr viel Engagement den Fragen der Bürger stellt“, sagt Runge. Das erwarten die Leute aber offensichtlich auch: Manche Besucher würden gleich mit dem Aktenordner unterm Arm kommen. „Aber Rechtsfragen können wir hier natürlich nicht entscheiden, wir können nur Tips geben, an wen sich der Betroffene wenden kann.“

Sie sei nicht zum erstenmal bei einer Infobustour dabei, plaudert Ingrid Dutschke, Mitarbeiterin des Bundesjustizministeriums. „Ich muß sagen, die Menschen im Osten haben sich verändert“, meint sie zu beobachten. Etwas weniger obrigkeitsgläubig seien sie geworden; daß sie sich kümmern müßten und mit allem, was ihnen hier erzählt und an Broschüren mitgegeben werde, kritisch umgehen könnten, wüßten sie auch.

Manchmal sind Halberstädter dann aber auch keine höflichen Menschen. „Wir sind eure weißen Neger!“ empört sich ein Bürger mit hochrotem Kopf. „Hätte der Sozialismus noch drei, vier Jahre durchgehalten, wäre es andersrum gekommen.“ Aber davon hätten die Wessis doch keine Ahnung. Frau Strutz von der Wohngeldstelle muß dem Rotgesichtigen ins Wort fallen: „Ich bin aus Halberstadt, Sie können ja mal vorbeikommen, wenn Sie Probleme haben.“ „Was denn, Sie sind von hier?“ Der Mann entschuldigt sich, packt einen Beutel voller Broschüren und trollt sich.

Für die angereisten Insassen des Infobusses ist jedoch auch klar: Wer in Halberstadt lebt, darf Sorgen haben. Schließlich sind fast 15 Prozent arbeitslos. Auch die Rentner müssen knapsen. „Informiert wurde ich hier wirklich gut, aber was nützt das, wenn ich mit dem Inhalt der Aussagen nicht einverstanden bin?“ reagiert denn auch ein Herr auf den Infobus. „Meine Frau hat zu DDR-Zeiten nicht gearbeitet wegen der Kinder. Sie hätte eine Mindestrente bekommen, die vielleicht bei dreihundert Mark lag.“ Damit hätte seine Frau ihren Lebensunterhalt allein bestreiten können. „Heute ist das nicht möglich. Die Lebenshaltungskosten sind auf das Dreifache gestiegen, aber die Mindestrente nicht. Daran ändern können auch die Infobusleute nichts.“ Spricht's, schnappt sich einen Stoffbeutel und geht. Unterwegs dreht er ihn so, daß die Seite mit dem Herzen und der Einheit nicht zu sehen ist.