Übernimmt Kohl Jelzins Urlaubsvertretung?

■ Widersprüchliches zum aktuellen Gesundheitszustand des russischen Präsidenten

Berlin (taz) – Nicht in der Walachei, nein in der Waldai sitzt der russische Präsident Boris Jelzin und inspiziert seinen möglichen Urlaubsort. Das sagte jedenfalls sein Sprecher gestern. Und legte nach, Jelzin habe einen fast zweieinhalbstündigen Hubschrauberflug in die Waldai durchgehalten. Das sei der Beweis, daß er gesund und bei Kräften sei. Und gestern abend sollte Jelzin wieder zu Hause sein. Alles wie geplant, also.

Doch der Radiosender Echo Moskau will „aus informierten Kreisen“ erfahren haben, daß Jelzin sich seit Tagen in einem Herzzentrum in Moskau aufhalte und die Ärzte spätestens heute über eine notwendige Operation entscheiden würden. Bekanntlich hatte diese Nachricht das US-Magazin Time bereits vor mehreren Tagen in Umlauf gebracht. Die Ärzte des Herzzentrums dementierten dies gestern. Pflichtgemäß?! Seit gestern wissen wir aber definitiv aus der Komsomolskaja Prawda, daß Jelzin an einer Leberzirrhose, an Nierenschwäche, einer chronischen Mittelohrentzündung, einer Mangeldurchblutung des Herzmuskels und an Schlafstörungen leidet. Das ist präzise, klingt überzeugend, steht nicht in Widerspruch zu Trinkverhalten und Lebenswandel des Kremlchefs und erklärt einfach alles.

Aber vielleicht ist der Präsident längst tot? „Nein“, sagt dazu sein Präsidialamt, „Jelzin hat gestern zwei Dekrete unterschrieben.“ Nicht überzeugend, seit wir von Sicherheitschef Alexander Lebed wissen, daß die Faxe des Präsidenten nur das Faksimile seiner Unterschrift tragen.

Nun mußten wir gestern erfahren, daß unser Bundeskanzler seit drei Tagen nicht mehr im Fernsehen aufgetreten ist. Wir halten das nicht nur generell für bedenklich, weil wir einfach nichts über seinen Gesundheitszustand erfahren. Es gibt uns ausreichend Grund zu der Vermutung, daß sich unser Kanzler unter Hintanlassung seiner besseren Hälfte vom Wolfgangsee aus direkt auf den Weg in die Waldai gemacht hat. „Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen“ verlautete, der Kanzler wolle seinem Freund Boris in diesen schweren Stunden die Hand halten.

Der frühere Jelzin-Sprecher Pawel Woschtschanow schrieb gestern in der Komsomolskaja Prawda, daß der Chef des Präsidialamtes, Anatoli Tschubais, bereits die Amtsgeschäfte führe. „Wohin man auch geht, man trifft auf seine (Tschubais) Leute“, so Woschtschanow. So geht es aber nicht, liebe Kremlleute. Unser Korrespondent in Moskau berichtet soeben, daß der Kanzler vermutlich die Urlaubsvertretung für Jelzin übernehmen will. Alles wird gut, Mütterchen Rußland. Georg Baltissen