Russische Bomben auf tschetschenische Flüchtlinge

■ 120.000 Menschen eingekesselt. Ultimatum zur Einnahme Grosnys läuft heute ab

Grosny/Moskau (AP/dpa/taz) – Noch vor Ablauf des Ultimatums am heutigen Morgen hat das russische Militär gestern die tschetschenische Hauptstadt mit schwerer Artillerie beschossen. Itar-Tass meldete, pro Minute fielen zehn Granaten auf das Stadtzentrum. Die Armee setzte auch Flugzeuge ein.

Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) sagten gestern, in der Stadt hielten sich noch mindestens 120.000 Zivilisten auf, die zu fliehen versuchten. Auf Bemühungen des IKRK um eine Verlängerung des Ultimatums habe das russische Oberkommando nicht reagiert. Rotkreuzmitarbeiter bestätigten, daß Flüchtlingskolonnen aus der Luft angegriffen wurden. Nach Angaben der Rebellen starben bei Luftangriffen 42 Zivilisten.

Noch am Dienstag abend hatten die Russen eine Brücke zerstört und dabei mehr als 100 Menschen getötet. Seit Beginn der Kämpfe um Grosny am 6. August sollen 3.000 Zivilisten und mehr als 2.000 russische Soldaten umgekommen sein.

Der russische Oberkommandierende Tichomirow erklärte die Vertreibung der Rebellen und die Rückeroberung der Stadt zum obersten Ziel. Der Militärchef der Rebellen, Maschadow, befahl seinen Truppen gestern, die letzten russischen Soldaten zu vertreiben und Grosny einzunehmen. Nach russischen Angaben holten die Tschetschenen Verstärkung heran. Der russische Verteidigungsminister Rodjonow stellte gestern die Gültigkeit des Ultimatums in Frage. Es habe sich um eine „persönliche Initiative“ des abgesetzten Oberkommandierenden in Tschetschenien, Pulikowski, gehandelt, sagte er. Pulikowski sei dafür „gerügt“ worden. Beobachter führten das Chaos im Kreml auf das Abtauchen von Boris Jelzin zurück.

Der Tschetschenienbeauftragte Alexander Lebed reiste gestern nach Grosny, um den angedrohten Sturmangriff zu verhindern. Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich appellierten an Moskau, den Sturm auf Grosny zu verhindern. Seiten 2 und 10