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Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 35

Darum bezahlte Uwe dem Wirt die Hälfte der Miete und lebte und aß und lebte und aß. Aber er hatte noch ein Ziel in seinem Leben. Er wollte mit seinen berstenden Fleischmassen den Imbiß über sich zum Einsturz bringen. Und alle halfen mit: die Frikadellen. Die Pommes. Die Currywürste. Sein Hinterteil hatte einen ersten Erfolg zu verbuchen. Vor zwei Wochen ist es aus der Rückwand getreten.

Kommissar Brook orientierte sich an der Nase von Uwe. Sie steckte unweigerlich im Zentrum von Uwes Gesicht. Die Augen- und die Mundpartie verhängten dicke Lappen aus Fleisch. Von Zeit zu Zeit tat sich ein Loch auf. Und unter dem Vorsprung einer Fettklippe standen unendliche viele Speisen auf den gedeckten Beinen von Uwe.

„Uwe!“ „Bill!“ „Uwe!“ „Bill!“ Diese Anrede war ein Code. Unter Agenten. Schließlich war das Vertrauen zwischen den Männern hergestellt. „Was sagt das Essen!?“ fragte Brook. Uwe zerteilte mehrere Fischfilets und studierte die Anordnung der Fasern im weißen Fleisch. „Wir haben es mit einem Mord, mit Morden von Hunderten von Delphinen an der japanischen Küste zu tun. Tod durch Netz. Am 12. April 1991. Und hier haben zwei Männer in der Unterelbe dreißig Liter Altöl entsorgt. Eintritt des Altöls zwischen 12 und 12.30 Uhr am 14. Juli 1993. Das Stück, Uwe wog ein Stück Fisch in der Hand, Suizid eines Karpfens in der Alster!“

„Wir haben es mit einer Leiche, einem Menschen zu tun, Uwe!“ „Essen ist menschlich“, antwortete Uwe und biß eine Krakauer in kleine Stücke, „Spuren von 147 Rindern kann ich eindeutig feststellen, den Finger eines Metzgers, ein Stück Zahnersatz, aber einen Mord kann ich in keinem Stück der Krakauer sehen. Soll ich es mit einem Hamburger probieren, Bill!?“

„Nichts, Uwe!?“ „Nichts, Bill!“ „Und, Uwe?“ „Nächste Wochen kommen frische Frikadellen an. Sie werden mir schon sagen, wer den Rentner jenseits des Hungers geschickt hat!“ Dann schluckte Uwe eine stattliche Abordnung Pferdewürste.

Brook schlich in Ärger aus dem Imbiß. Es machte einfach keinen Spaß mehr, ein Kommissar zu sein. Noch in diesem Gedanken brach aus der Wand Uwes Hand in die Freiheit.

„Danke, Uwe“, sagte die Hand zu Brook. „Danke, Uwe“, sagte Brook der Hand. Die Hand zog sich zu den Pferdewürsten zurück.

Wohnopoly

Eine kleine Utopie auf dem Wohnungsmarkt mit dem Charme der neuen Obdachlosigkeit und einem freundlichen Klingelgangster, der weiß, was er will

Auf den wenigen Metern zu dem Altbau in der Langen Reihe umarmte St. Georg Schmock voll Müll und Slum, Suff und Heil, sex and crime, tits and asses: Es war seine Lange Reihe; eine Straße, wo man sich wohlfühlt, eine Straße, wo man sich trifft. Schmock suchte die Menschen.

(Fortsetzung folgt)

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