Überschall von übergestern?

■ Die beiden taz-Musikspezialisten Andreas Neuenkirchen und Lars Reppesgaard sind wieder mal geteilter Meinung

Andreas: Statt der gewohnt lärmenden Gitarren stehen beim diesjährigen Überschall-Festival experimentelle Popmusik von „Stereolab“, Industrial-Rock von „Foetus“ und die Musik-Performance von „Faust“ ganz oben auf den Plakaten.

Lars: Schade. Vom ehemaligen Charakter der Veranstaltung, nämlich eine Art Leistungsschau der unangepaßten, krachigen Musikszene abseits der Charts zu bieten, ist nicht viel geblieben. Rap und Elektronisches gab es auch in den Jahren zuvor. Aber sonst war mehr dabei, das Eltern weh tat. Nur der arme Quotenlärmer Otis steht für verstimmte, wütende Gitarren und Feedbackorgien. Statt Überschall gibt es diesmal bestenfalls angepaßten Schall.

Mittlerweile sind Feedbackorgien doch viel angepaßterer Schall als elektronische Musik, die nicht nur von alten Platten gesampelt wird, sondern tatsächlich aus dem Synthesizer kommt. Der Sinn dieses Festivals sollte es schließlich sein, wirklich neue Musik zu präsentieren und nicht die Jünger der Vorjahressieger aufspielen zu lassen.

Wenn jemand wie Stereolab die uralten Moog-Synthesizer wieder anschmeißt, die wir doch nach den 70ern eigentlich überstanden hatten, ist das nicht neu oder experimentell. Das ist langatmige, wabernde Discotunke, die keinem Elternteil weh tut.

Der Moog-Synthesizer gehört zu den Instrumenten, die eine Rehabilitierung verdienen. Und was Stereolab damit machen ist flotte Tanzmusik, deren Wert sicherlich nicht über Unterhaltungswert hinausgeht, aber das ist bei verkrachter Rockmusik kaum anders. Sieh dir Foetus an, die trieben das ironisch auf die Spitze.

Ihr Kopf Jim Thirwell lebt vor allem davon, Rockmusik zu dekonstruieren. Stahlgewitter als Drumbeat, Slogans und eine wilde Gitarre, das ist Show. Aber die kulturelle Wurzel ist ganz klar lärmige Rockmusik. Nur, daß Thirwell glaubt, das zu parodieren und so tut, als würde er darüber stehen.

Parodieren ist aber wichtig, um den Leuten vor Ohren zu halten, daß Sonic Youth & Co. kein Monopol auf die moderne Musik haben. Da muß Platz sein für Pop, Parodie und sogar alte Krautrocker-Tugenden.

Die alte Rotenburger Faust hätte es früher beim Überschall nicht gegeben. Die können Sonntags auf der Waldbühne ihre Soli spielen. Die Frage ist doch, ob es nichts Neues auf dem weiten Feld der wilden Gitarrenmusik gab, oder ob es tatsächlich nur anderswo hörenswerte Weiterentwicklungen gab.

Erstens wollte Bulti bewußt weniger Gitarrenlärm. Und zweitens gibt es da nichts Neues. Nur Retro-Grunge-Bands wie Tocotronic sind aus dem Boden geschossen. Und die wurden so schnell vom Mainstream vereinnahmt, daß sie für etwas wie das Überschall-Festival nicht mehr von Interesse sind.

Und statt dessen haben wir eine Festival-Besetzung, die von den Musikrichtungen her von vorne herein nach Mainstream klingt. Da sind ja die Techno-Köpfe von Psychic Warriors ov Gaia vom theoretischen Ansatz her noch die Progressivsten. Die spannen einen Bogen vom Technogehämmer zum Stammesgetrommel, eine zumindest halbwegs neue Idee. Ansonsten aber: Musik für das kollektive Vergessen. Überschall geht mit der Zeit. Jetzt heißt es Feiern und bloß nicht Nachdenken, typisch Neunziger Jahre.

Eher typisch Wochenende. Und das Festival ist schließlich am Samstag um 20 Uhr im Schlachthof. Lars Reppesgaard und Andreas Neuenkirchen