Bücher mit Modem und Fahrradkurier

■ Diskussion im Medienzentrum über die Zukunft der Bibliotheken: Die neuen Navigatoren in der Datenflut

„Entweder die Bibliotheken werden wichtiger denn je, oder sie werden zu Buchmuseen, die irgendwann niemand mehr bezahlen will.“ Höchste Zeit für eine Kursänderung – das zumindest stand für den Direktor der Stadtbibliothek Köln, Dr. Horst Neisser, bei der Diskussion „Buch-Bildschirm-Bibliotheken? Verschwindet die Bücherei im Internet?“ fest. Der Besuch des Kölner Oberbibliothekars am vergangenen Mittwoch im Medienzentrum Walle war kein Zufall. Bei der Frage, wie es um die Zukunft der Bibliotheken in Zeiten von Internet, Online-Datenbanken und CD-ROM bestellt ist, lohnt der Blick an den Rhein. Seit Neisser dort die Spielregeln festsetzt, gehören neben den Büchern nicht nur die jede Woche aktualisierten Top 20 Charts-CDs zum Ausleihbestand. Bis zu 10 % des Jahresetats von 2,2, Mio. Mark werden in neue elektronische Medien gesteckt.

Von solchen Zahlen können die Bremer KollegInnen nur träumen. „Die 12000 Quadratmeter, die die Kölner Zentralbibliothek umfaßt, sprechen eine deutliche Sprache. Die in Bremen ist zehn Mal kleiner,“ weiß Barbara Lison-Ziessow, die Direktorin der Bremer Stadtbibliothek. Doch nicht nur der geringere Etat läßt den Bremern weniger Spielraum - die Kölner können frei über ihrer öffentlichen Geld entscheiden und zwischen Sach- und Personalkosten hin- und her jonglieren. Auch wenn fünf Rechner im Computerraum der Bremer Zentralbibliothek und ein CD-ROM-Ausleihprogramm bereits laufen und ein öffentlicher Internetanschluß noch für dieses Jahr geplant ist, wird deutlich: die Kölner haben, auch im bundesweiten Vergleich, die virtuelle Nase vorn.

Das liegt neben dem Geld auch an Neissers strammen Kurs Richtung Datenautobahn. Obwohl das gedruckte Wort in Zeiten von Fernsehen und Internet an Bedeutung verliert, ändert sich für Neisser grundsätzlich nichts: „Aufgabe der öffentlichen Bibliotheken ist und bleibt es, Zugang zu allen Informationen zu schaffen.“ Dafür müssen die Bibliotheken die technische Entwicklungen nachvollziehen. Nur mit dem Computer besitze man in der Zukunft überhaupt gesellschaftliche Relevanz und damit eine Existenzberechtigung.

Seit gut zwei Jahren gehören in Köln CD-Roms und Software zum Ausleihbestand, gegen Gebühr recherchieren die Bibliothekare online in Datenbanken. Seit Anfang des Jahres können Neugierige an drei Computern zum Nulltarif im Internet surfen. Das Angebot kommt gut an, zu gut sogar: Wartezeiten von bis zu sechs Wochen auf ein paar Stunden Datenautobahn sind mittlerweile üblich. Neisser: „Die Telefongebühren für das Internet können ja vor allem Jugendliche kaum aufbringen.“ Deswegen müßten die Bibliotheken allen Schichten den Umgang mit dem Computer ermöglichen, um die sogenannte „computer literacy“, die Fähigkeit, mit Bits und Bytes und Datenhighway umzugehen, zu fördern. Dabei geht nicht nur um Nachschub für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Es geht Neisser um das Prinzip, jedes neue Medium via Bibliothek für alle, egal ob vermögend oder nicht, zugänglich zu machen: „Jeder hat das Recht, auszuprobieren, worüber überall geredet wird. Und wenn Virtuell Reality-Brillen kommen, kaufen wir die auch. Das ist der einzige Weg gegen eine Zweiklassen-Gesellschaft mit Informationsbesitzern und Habenichtsen.“

Umsonst aber ist auch in der Zukunftsbibliothek in der Domstadt wenig. Für die Online-Recherche für ein Referat muß man etwa 50 DM berappen. Neisser hofft aber, die Kosten benutzerfreundlich halten zu können. „Ich bin für vertretbare Gebühren. Aber eine Bibliothek, die sich niemand leisten kann, macht keine Sinn.“

Also wird in der Domstadt nach weiteren Einnahmequellen für Bibliotheken, etwa im Informationsmanagement, gesucht und natürlich rationalisiert. Die Ausleihe läuft schon vollautomatisch. Der Laserstrahl des Scanners liest Buchtitel, Signatur und Leihkartennummer ein. Neisser: „Die eingesparten Stellen am Ausleihtresen arbeiten nun an anderen Aufgaben. Bislang standen wir für das Dauernde, jetzt müssen wir uns konstant wandeln.“ Deshalb hat Neisser für Technologiefeindlichkeit wenig übrig. „Mir kann gerne jemand von dem sinnlichen Erlebnis erzählen, das ihn befällt, wenn er ein Buch anfaßt. Aber für Bibliotheken ist das Thema Internet existentiell,“ schrieb er den rund zwei Dutzend anwesenden Bibliothekaren, die etwa die Hälfte der Zuhörerschaft ausmachten, ins Stammbuch. Wenn Neisser recht behält, wird es für viele von ihnen Zeit, sich fortzubilden. Informationsbrooker und Navigatoren in der Datenflut - hier liege die berufliche Zukunft der Bibliothekare. Trotz Neissers freundlicher Worte für die Bibliothekarin alten Stils – „die brauchen wir und wollen wir auch behalten“ – wurde deutlich, daß der Umbruch nicht einfach wird. Auch in Köln wurden keine neuen Stellen geschaffen, sondern alte umgewandelt. „Für unseren Internetfachmann mußte ich eine Bibliothekarenstelle opfern,“ gibt Neisser zu.

Auch wird das Mehr an Datenleitungen in den Bibliotheken nicht den kostenbedingten „Rückzug aus der Fläche“ – so das Fachchinesisch für die Schließung von Stadtteilbibliotheken – durch erweiterte Datenleitungsangebote in jedem Ortsamt auffangen können, wie es der Grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn andachte. Denn, so Neisser: „Die Kinder haben nichts davon. Vor allem die brauchen die Bibliothek vor Ort, mit Büchern, die sie anfassen können.“

Trotzdem: Der Weg in Richtung Datenleitung bleibt für Neisser der einzig gangbare. Sein neuster Coup: In Kürze sollen in Köln vom heimischen PC aus per Datenleitung Buchtitel bestellt werden können. Ein Fahrradkurier bringt sie ins Haus. Neissers Wunsch: „Kosten soll das 4,90 DM pauschal für bis zu sechs Bücher.“ Nur zurückbringen muß man die entliehenen Druckwerke. Und zwar pünktlich, denn auch die Mahngebühren sind laut Neisser nicht mehr das, was sie mal waren: „Wenn Sie bei uns ein Buch nur einen Tag überziehen, werden Sie arm.“ Lars Reppesgaard