■ Mit einem bebilderten Kurzroman wirbt Finanzminister Theo Waigel im Intercity für den kommenden Euro. Caroline Fetscher hat sich den Roman auf einer langen Zugfahrt angesehen und sich so ihre Gedanken gemacht
: Das Epos vom starken Euro

Mit der Bahn in den Abend fahren müssen und die Lektüre vergessen haben: Desaster. Gleich beginnt, im leeren Großraumwagen, das Grübeln über alle Übel der Welt, die Telekomtelefonkostenauflistung vom Samstag, die Freundin, die seit Wochen Maulwürfshügel unterirdischer Laune aufwirft, den Mann, der mit anderen Radtouren macht. Draußen gibt es auch nichts zu sehen, Schwärze wälzt sich heran. Escape impossible. Stoff fehlt, Lesestoff!

Aus dem Nichts und Nirgends heraus spendet da das Schicksal plötzlichen Trost. Kein Arztroman, kein zerlesener Bayernkurier und kein religiöses Traktat, sondern eine handfeste aktuelle Publikation findet sich ein. 70 Seiten dick liegt sie auf dem leeren Nachbarsessel, seriös bebildert, groß gedruckt, voller Überraschungen. „Der Euro – stark wie die Mark“ heißt das Werk. Dieses Buch reißt mit. Es wird jeden frappieren, der sich mit zeitgenössischen Genres der Literatur befaßt. Experimentelles verwoben mit erbarmungslos Traditionellem, die Hauptfiguren bald abstrakt, bald hautnah, wechseln sogar mitunter ihre grammatische Gestalt – das Epos des Starken Euro, ein Ritterroman auf High-Tech-Level, sucht seinesgleichen. Hauptheldin des Opus ist dabei allerdings nicht, wie der Titel fälschlich suggeriert, jener Euro selbst, sondern eine Figur mit dem postmodernen Namen Stabilität. Mehr als achtzigmal taucht sie auf den Seiten des Buches auf, schick, in stets neuen Gewändern und anderer Umgebung. Stabilität besteht ihre Abenteuer gemeinsam mit Euro, sie geht mit ihm durchs Feuer, meistert Krisen und Unbill an seiner starken Hand.

Zwar ist Stabilität prominent und begehrt, doch auch abhängig von Euro, ohne den sie, so schreibt der modisch anonyme Autor, ihr wahres Wesen verlöre, als sei sie aus aus seiner Rippe geschnitzt. Stabilität gibt den Ton an. Als Partydame sieht man sie im Mittelpunkt einer von einem Hern Waigel so getauften „Stabilitätsgemeinschaft“, wo im Duft ihrer „Stabilitätskultur“ wenige ihrer aus ganz Europa stammenden Verehrer jenes „Stabilitätsniveau“ erreichen, das sie und ihr Euro, ein anspruchsvolles Paar, fordern.

Die Stabilität ist die Heldin des Romans

Die didaktische Qualität des Romans läßt jedoch Schlüsse darauf zu, wie das adäquate „Stabilitätsverhalten“ zur angemessenen „Stabilitätsleistung“ führen könnte – hier, wie so oft in dieser Schrift, scheinen Subjekt und Objekt verschränkt: Es geht ja nicht um die Leistung von Stabilität, sondern um das Erfüllen der Sehnsucht nach ihr, das Einlösen eines „Stabilitätsauftrags“.

Aber wir haben vorgegriffen.

Elegisch präsentiert uns das erste Kapitel zunächst eine Landschaft, ebenso karstig wie vielversprechend. Weit ist der Horizont, wir sehen hier „Deutschland und Europa vor neuen Herausforderungen“. Ein grandioses und gefährliches Ambiente ist „die Welt, in der wir leben“, die zunehmend geprägt ist von „gegenseitigen Abhängigkeiten“. Dabei beschwört der Autor schreckliche Katastrophen, die gleichwohl in diesem durch und durch vom New Optimism getragenen Werk – wie schon in der Kapitelüberschrift – beharrlich als „Herausforderung“ bezeichnet werden. Beim Beschreiben des Szenarios jener wilden Welt, in der weder Euro noch Stabilität bisher aufgetreten sind, scheut der Autor sogar vor Anklängen an die klassische Terminologie des Marxismus nicht zurück: „Der Warenaustausch mit unseren Handelspartnern wächst ständig, der Kapitalverkehr ist frei, und die internationalen Kapitalbewegungen haben früher unvorstellbare Dimensionen erreicht.“

Damit nicht genug: „Die Verschmutzung der Umwelt macht bekanntlich nicht an den Grenzen halt. Die Kriminalität ist längst international, nicht nur der Drogen- und Waffenhandel. Einwanderung und Asylfragen sind überall in Europa drängende Probleme.“ Kriminelle, Waffenhändler, Asylanten – eine Welt, die nach einem rettenden Ritter ruft, nach einer starken Hand, nach richtungweisenden Zeichen und Zeptern, denn die Reiche scheinen ungeeint, und das Chaos droht.

„Die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa, aber auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion suchen verläßliche Orientierung [...], vor allem auch wirtschaftliche Unterstützung.“ Was läge da näher, als das einzig einige Reich, „das geeinte Deutschland“, zum obersten Retter zu bestellen? Doch, ach, jenes sagenhafte Land „kann dies allein nicht leisten. Europa braucht mehr denn je einen sicheren und festen politischen Anker.“ Am rechten Seitenrand des Buches, das auch graphisch alle Genres sprengt, taucht hier ein Stück blauer Himmel auf, drauf stehen, einem süßen Menetekel gleich, Bekenntnisse der Starken: „Die Unterzeichnerstaaten erklären feierlich, daß sie in dem anbrechenden neuen Zeitalter europäischer Beziehungen nicht mehr Gegner sind, sondern neue Partnerschaften aufbauen und einander die Hand zur Freundschaft reichen wollen.“ Dies haben ominöse Nato-Ritter und „noch übrige Warschauer-Pakt-Staaten“ im Jahr 1990 gelobt, so wird berichtet.

Bald darauf taucht Stabilität zum ersten Mal im Buch auf. Noch ohne ihren Partner Euro wird sie zunächst von einem Drahtzieher der Geschichte geschickt vorgestellt, indem ihre Herkunft deutlich wird: „Mit dem Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion ist es uns gelungen, das deutsche Stabilitätssystem zur europäischen Währungsverfassung zu machen“, verkündet der Marschall am Hofe von Stabilität, ein „Dr. Theo Waigel“. Es handelt sich offenbar um die gelungene Liaison zweier großer Dynastien, und jener Marschall Waigel drückt Genugtuung darüber aus, daß eine deutsche Linie, moderner gesprochen: ein deutsches System dem europäischen sich in dieser Verlobung überstülpen durfte.

Stabilität gewinnt die Macht dank Ritter Euro

Mit der glücklichen Eroberung könnten wir schon am Ende des Romans sein, doch da fangen die Widrigkeiten erst an. „Hemmnisse“ und „Kontrollen“ gilt es abzubauen, um das Glück im neuen Reich mit dem Namen Union vollkommen zu machen, und „das Festhalten an verschiedenen Währungen stellt [...] ein gravierendes Handels- und Investitionshemmnis dar“. Wie soll Stabilität, die deutsche Prinnzessin, da ihre Rechte wahren und gewährt bekommen? „Die Währungsunion mit endgültig fixierten Wechselkursen und einer gemeinsamen Währung“ ist da „der letzte logische Schritt [...]“, erzählt der Autor, sich gewagt philosophisch- mathematischer Terminologie bedienend.

Denn davon würden alle im Reich Union profitieren, und: „Besonders groß sind die Vorteile auch für die Unternehmen“, und: „Dies ist besonders für Deutschland wegen seiner hohen Außenhandelsverflechtung wichtig“, in der „Wirtschaftswelt, in der Sicherheit Geld bedeutet, kann dieser Vorteil nicht hoch genug eingeschätzt werden“. Ein neuer Raum wird entstehen, raunt das Opus, ein von Stabilität geprägter, ein „stabiler europäischer Wirtschaftsraum“. Wieder blendet sich hier ein Stückchen Himmel ein, worauf geschrieben steht: „Die Währungsunion ist als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert, die vorrangig die Preisstabilität zu gewährleisten hat.“ Dieses Diktum lesen wir als „Urteil“ eines Gerichts zur Bundesverfassung, es kommt von höchster Stelle, so ist es sich zeushafter Setzung sicher, und wenig wird es verwundern, daß ein weiterer Drahtzieher, „Dr. Helmut Kohl“, dem Unumstößlichen der Geschichte seinen Stempel aufzudrücken weiß, denn es ist, so ertönt seine Stimme, „der Weg zur Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion klar vorgezeichnet und unwiderruflich festgelegt“.

Konnte man jedoch zuvor, aus demselben Munde hören, die Große Liaison der Prinzessin Stabilität sei „für uns zu allererst eine Gemeinschaft der Solidarität“, so geraten solche Töne in der Folge etwas in Vergessenheit. Will sich die Prinzessin deutscher Herkunft im neuen Reich richtig stabil im Sattel fühlen, so muß sie sichergehen, daß alle ihre Stabilitätsgebote befolgen, und wer in ihrer Schuld steht, der muß, ein altes ehernes Gesetz, auch zahlen. „Höchstgrenzen“ sind daher festgelegt für „Haushaltsdefizite“ an allen Höfen des Reiches. „Werden diese überschritten, kann die Union verbindlich den Abbau empfehlen und ihn unter Umständen gar mit Geldbußen herbeizwingen“, so lautet der clevere Plan des Hofmarschalls, der damit festlegt, daß zahlen muß, wer nicht ordentlich zahlen kann, daß ausgesperrt wird, wer nicht rechtzeitig zum Ball erscheint. Ja, „nur diejenigen Mitgliedsstaaten, die schließlich ein dauerhaftes Stabilitätsniveau erreicht haben, dürfen an der Währungsunion teilnehmen“, verkündet der Plan. Denn für nichts gibt's nichts in der neuen Union, vor allem nicht für alle, für die Öffentlichkeit: „Hierzu gehört vor allem das Verbot der Kreditgewährung von Zentralbanken an den öffentlichen Sektor“, und hier findet der Roman zu einem prosaischen Höhepunkt: „Diese Bestimmung zwingt die öffentlichen Hände, sich wie jeder private Kreditnehmer zu Maktbedingungen an den Kapitalmärkten zu finanzieren.“ Das ist schön, denn „unsolides Wirtschaften wird dann mit höheren Zinsen bestraft“. So, mit ein bißchen Zwang und Buße, mag sich die deutsche, die „Stabilitätskultur weiter ausdehnen und festigen“, und so ist, mit Alliteration im ansonsten minimalistisch gehaltenen Opus, „dafür Sorge getragen, daß kein Teilnehmer vom Tugendpfad der Stabilität abweicht“.

Ritter Euro, Hüter der Tugend seiner Prinzessin, weiß jedoch, wie er es anstellen wird, ihre feine Qualität auf sich zu ziehen, den Hinweis dazu gibt ihm sein Adlatus Jaques Santer. Er verkündet allem Volke: „Der Euro muß so stabil sein wie die D-Mark!“ Euro nimmt sich dies zu Herzen, und bis er die Prinzessin wirklich bekommt, eine Hochzeit, die der Roman in Anlehnung an deutschen Raumfahrtjargon kühn „Endstufe“ nennt, wird er sich gewappnet haben gegen die bösen Ausscherer aus Stabilitäts reinem Umfeld.

Die Währungsschlange hat sich gehäutet

Die Währungsschlange, so „getauft, weil das Auf und Ab der Wechselkurse um den US-Dollar herum den Formen einer Schlange ähnelt“, hat sich gehäutet, gewandelt und gehärtet, lesen wir im dritten Kapitel, seit der ECU, der Vater von Euro, den Lauf der Geschichte mitgestalten durfte. In einer kurzen Rückblende erfährt der Leser von Krämpfen und Windungen der Währungsschlange, von „den Dänen“, die mit giftigen „Zweifeln“ das Reich bedrohten, auch von den Briten und Italienern, die „folgerichtig“, leider, „unter Abwertungsdruck“ gerieten und einstweilen ausscheiden mußten aus Stabilitäts großem Herrschaftsgebiet. Ihr Europäisches Währungssystem ist trotz der stabilen „Pfeiler“ und „Pfosten“, nicht risikofrei – das ist ihr Eros! Dieses System nämlich, so beschreibt der Autor in eindringlicher Metaphorik, „ähnelt heute einer Teststrecke, auf der jetzt die Leitplanken des engen Bandes fehlen. Dies stellt zwar erhöhte Anforderungen an den Fahrer, erlaubt jedoch eine bessere Einschätzung der Fahrkünste.“

Die Chauffeure von Euro und Stabilität werden das Steuer zu führen wissen, bis die Verlobungsphase in die Hochzeit mündet, sie gehören den Banken und Börsen und sitzen in Stabilitäts Hauptpalast, der Europäischen Zentralbank, im deutschen Frankfurt am Main. Sie allein hat „einen eindeutigen Stabilitätsauftrag“ und wird auch die Hochzeit ausrichten.

„Wer die stabilitätspolitische Reife nicht bewiesen hat“, zitiert der Autor erneut die streng gesetzte Sprache aus dem Reich der spröden Prinzessin, „der kann sich vorerst nicht beteiligen.“

Die Deutschen werden auf der Hochzeit tanzen

Daß die Deutschen, die die Mehrzahl der Figuren dieses Romans ausmachen, auf der Hochzeit im Jahre 1999 tanzen werden, ist sonnenklar. Ihnen entstammt die Prinzessin, ihre Deutsche Bundesbank ist erklärtermaßen „Vorbild“ für die künftigen nationalen Zentralbanken, und zuversichtlich heißt es: „Wir Deutsche werden eine gute Währung behalten.“

Daß der bewährte Ritter Euro Euro heißt, soll keinen Deutschen stören, und ein Würdenträger ersten Ranges erklärt es den Leuten: „Ich halte den Namen aus drei Gründen für gut: Erstens kann er in allen Ländern gleich geschrieben und nahezu gleich gesprochen werden. Zweitens bringt er die europäische Identität zum Ausdruck. Drittens ist er relativ kurz.“ So spricht Dr. Hans Tietmeyer „Präsident der Bundesbank“.

Glücklich resümmiert Hofmarschall Waigel, und sein strahlendes Portrait bebildert seine Worte: „Vor allem aber wird der Euro eine gemeinsame, gute und harte Währung sein, nach dem Vorbild der Deutschen Mark. Unser erfolgreiches Stabilitätsmodell ist in Europa anerkannt.“

Seine Taten dagegen sind weitreichend und tragend, sie schöpfen eine neue Zeit, Mark-ieren eine neue Epoche. Im Reiche Euros werden „mehr Menschen“ leben „als in Japan, Nordamerika oder der früheren Sowjetunion“, erklärt der Erzähler. Gemessen an seiner Wirtschaftskraft liegt der Euroraum „sogar vor den USA“. Selbstverständlich ist darum auch eine „gemeinsame Verteidigungspolitik“, die, und das erscheint ganz folgerichtig, „gegebenenfalls zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann“ – Ritter Euro, gewißlich, hoch zu Roß voran, Prinzessin Stabilität fest verschanzt im Zentralpalast der Union. Wer wäre nicht gespannt auf Fortsetzungen dieses Gratis- Romans um Geld und Zukunft?!

Einzigartig entfaltet sich in diesem Werk ein neuartiges Mischgenre, auf mehreren Graten und Koordinaten balancierend, zwischen Roman und Krimi, monetärem Fitneß-Manual und Aufklärungsschrift, Science-fiction und klassischem Werbetext, Ritterepos und Heldensaga. Zum Lesen empfohlen! Besonders wenn man in der Bahn bleiben will.

„Der Euro – stark wie die Mark“. Europa ist Zukunft. Hrsg: Bundesministerium der Finanzen, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Bonn 1996