„Wir mögen uns einfach“

■ Fünf Freunde für ein Theater: Die Schauspieler von „Satyricon“ eröffnen demnächst ihre neue Bremer Spielstätte / Premiere mit Jean Genet

Als in der taz vor Wochen das Portrait des 83jährigen russischen Regisseurs A.S. Barkan erschien, sahen fünf Bremer Theaterkünstler ihre Chance. Barkan, der sich selbst als Stanislawski-Schüler begreift, verließ Moskau aus religiösen und familiären Gründen. Nun sitzt er in Bremen, und sein Wissen aus 60 Jahren Theatererfahrung liegt brach. „Satyricon“, so der Name, den sich die fünf Theaterkünstler gegeben haben, konnte es brauchen. Nun arbeiten die jungen Schauspieler Benedikt Vermeer und Hermann Book mit dem alten Russen zusammen und sind begeistert. „Der hat einfach unglaublich viel Erfahrung und sieht Fehler sofort und unbestechlich.“

Welche Resultate diese russisch-deutsche Zusammenarbeit , für die übrigens noch ein Übersetzer gesucht wird, zeitigt, wird man erst bei der Premiere sehen. Der ersten, die in den neuen Räumen in der zentral gelegenen Hankenstraße über die Bühne gehen wird. Zur Zeit sprüht hier noch die Flex goldenen Funken. Doch die letzten Arbeiten werden zur Premiere am 13. September, wenn die „Produktions gemeinschaft“ sich vorstellt, erledigt sein. An einem dichtgedrängten Wochenende gibt man mit einem Fest und fünf Aufführungen aus dem Repertoire einen Überblick über die Vielfalt des Programms: ein Bühnencomic, neben diversen Kinderstücken aber auch „Unter Aufsicht“ von Jean Genet.

Stattfinden wird das Ganze dort, wo noch vor kurzem gehobelt wurde und Späne fielen. Ganz profan arbeitete der Schreinerbetrieb Günter Ullrich an den Brettern, die für Theaterleute die Welt bedeuten.

„Eine ganz normale Schreinerei, wirklich ein Glück, das der Hausbesitzer uns den Mietvertrag gegeben hat und nicht irgendeinem Restaurant“, loben die Künstler den stillen Mäzen, dem man sich nun verpflichtet fühlt. In der Hankenstraße hinter dem Brill haben die Schauspieler jetzt alles entrümpelt, den Fußboden abgezogen und ein Podest für die Zuschauer gebaut. Wenn der Vorhang hängt kann das Publikum kommen.

Am Anfang eines anständigen Projekts steht immer ein Glas Bier. So war es auch bei den fünf von der Theater-Produktionsgemeinschaft Satyricon. Getroffen hatten sie sich eher zufällig, beim Geburtstagsfest. Zum Schluß, als alle schon gingen, blieben sie in der Küche zurück: Judith S. Bauerdieck, Stefan Berthold, Hermann Book, Dirk Rademacher und Benedikt Vermeer. Man gestand sich, daß man vom Theaterbazillus infiziert war. Was lag näher, als der Plan, zusammen- zuarbeiten. Daß dieses Projekt nicht wie die meisten Kneipenideen mit dem letzten Bier an der Theke vergessen wurde, war einem konkreten Notstand geschuldet: Die Theaterleute steckten in existenziellen Zwängen. Für Einzelkämpfer waren Aufführungsorte und Probenräume in Bremen kaum zu finden, bei ein, zwei Spieltagen konnte sich kein Publikum etablieren.

In der Umgebung in Werder bei Thedinghausen hatte man eine Scheune gefunden und mit vereinten Kräften ausgebaut. Heute, wo in der Hankenstraße die erste Bremer Spielstätte des Theater Satyrikon entsteht, kann man auf die Erfahrung zurückgreifen.

Dabei ist alles aus eigenen Mittel entstanden. Jeder Nagel selbst ein- geschlagen, die Elektrik erneuert. Bis jetzt wurde kein Pfennig Subventionen beantragt. „Circa 25.000 Mark“ habe man an Material und Zeit investiert, schätzt die Gruppe und blickt skeptisch, vermutlich ist das eher zu niedrig gegriffen.

„Wir verstehen uns als Produzentengemeinschaft“, macht Dirk Rademacher das Besondere des Theaters Satyricon klar. Ungewöhnlich in der Theater-Szene. Schließlich ist die Gruppen-Konstellation unter Theaterleuten oft ideologisch befrachtet. Lange Zeit gab es nur zwei Möglichkeiten: Off- oder Stadt-Theater. Bei Satyricon fühlt man sich keiner gängigen Schule verpflichtet, hat keinen Guru, ob der nun Grotowski oder Stanislavski heißt. „Jeder darf machen, was er will.“ So entstehen Projekte, bei denen einer beteiligt ist und die anderen ganz im Hintergrund bleiben. Oder aber man spielt gemeinsam in einer Inszenierung.

„Wir mögen uns, das hilft enorm“, bringt Stefan Bertold die Erfahrungen zusammen. Die Theaternotgemeinschaft, zu 80 Prozent männlich und Mitte Dreißig, spielt regelmäßig jeden Samstag Fußball. Sonst sind sie alle recht verschieden, haben die unterschiedlichsten Biographien. Stefan Bertold zum Beispiel ist Bühnenbildner und Puppenspieler. Benedikt kommt aus dem Umfeld der Ottersberger Kunstschule, und noch ganz anders sieht sich Dirk Rademacher. Der imposante Mann läßt schon auf den ersten Blick seine Kollegen wie seine Schüler aussehen. Doch das liegt ganz sicher nicht in seiner Absicht. Vor nicht langem war er selbst Schüler bei Hermann Wedekind, hat bei dem betagten Regisseur seine „Lehr-und Wanderjahre“ verbracht. Bei Theatermacher Wedekind, für Rademacher einer vom Schlage eines Gründgens, hat er das klassische Schauspiel erlernt. Große Inszenierungen, Sprech-theater, das auf den Schauspieler setzt. Ob sich noch eine Spur Gründgens in der Inszenierung von Genets „Unter Aufsicht“ erkennen lassen wird, wird sich erst zur Premiere zeigen. Susanne Raubold

Theater „Satyricon“, Hankenstr. 24, Tel. 15 900.

Eröffnung am 13.9 . mit „Alles geklaut“ und Fest ab 20.30 Uhr;

14. 9. „Aladdin“ (15 Uhr) und „Unter Aufsicht“ (20.30 Uhr);

15.9. „Paul und die Standuhr“ (15 Uhr) und „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ (20.30 Uhr).