Jugendring protestiert – exklusiv für MTV

U, N und dann das S: Sorgfältig sprüht Thomas ein glänzendes blau-rotes Graffiti an eine weiße Mauer aus Pappkarton. „Uns reicht–s“, sprayt der Jugendliche, der in einem frischgewaschenen weißen T-Shirt steckt. „Uns reichts. Wir holen uns die Stadt zurück“, verrät eine akkurate Druckschrift auf seinem Rücken. Rund 20 Jugendliche stapeln Kartons aufeinander, blasen zaghaft in mitgebrachte Trillerpfeifen und mühen sich, geschäftig zu tun.

„Das ist eine Aktion, bei der wir mitmachen sollen“, verrät Jörg Ehrensberger, der auf dem Bahnhofsvorplatz in der prallen Sonne steht und sein „Uns reichts“-Hemd spazierenträgt. „Und jetzt sag nochmal wie Du heißt und was du da gerade machst“ sagt ein braungebrannter Lockenkopf, der vor der Pappmauer herumwirbelt wie ein Akrobat und eine silberne Handycam in der Hand hält. Ein Sticker auf dem Hemd verrät seine Herkunft: MTV, Music Television, ist auf Europatour in Bremen gelandet. „Also ich bin Thomas und ich gehöre zur Christlichen Arbeiterjugend. Und wir wollen gegen unsere Regierung protestieren, weil sie uns zuwenig Geld gibt.“ „Perfekt“, sagt der MTV-Mann und zoomt ruckartig zu Marina Stahmann, die ebenfalls ihr Bestes gibt.

Die Geschäftsführerin des Bremer Jugendringes und Spitzenkandidatin der PDS schreit fordernd ins Mikrofon: „Das ist eine Aktion von Jugendlichen und diese Mauer ist ein Symbol: Die Arbeitgeber mauern und auch die Politiker. Jugendliche müssen wieder ernst genommen werden.“ Zehn Minuten später ist der begeisterte MTV-Mann im roten MTV-Bus verschwunden, der stumm auf dem Bahnhofsvorplatz steht. Die vorher so geschäftigen Jugendlichen trollen sich hinter die Mauer.

Im abgedunkelten MTV-Bus sitzt Lisa Wood und telefoniert. „Wir wollen mit den Jugendlichen in Europa reden“, erklärt die Pressefrau. Gestern Groningen und morgen Hamburg. Jugendringlerin Stahman ist jetzt noch völlig außer Atem: Ganz zufällig habe sie von der Aktion erfahren, und alles an nur einem Tag auf die Beine gestellt. Daß Freizeitheime schließen, 1500 Bremer Jugendliche arbeitlos sind und Zuschüsse immer mehr gestrichen werden, „interessiert hier doch kein Schwein mehr“. Die Aktion „Wir holen uns die Stadt zurück“ laufe schon eine ganze Weile dezentral in den Stadtteilen und will jetzt mehr an die Öffentlichkeit gehen. Da habe sich MTV geradezu angeboten.

In der Kürze der Zeit kamen allerdings nur 25 Jugendliche zusammen. Der 21jährige Jörg aus Osnabrück steht still am Rand und schaut zu: „Wir müssen mehr für unsere Interessen tun“ sagt er selbstbewußt und wollte die Bremer gestern auf dem Bahnhof beim Sprayen und Pfeifen unterstützen. Doch leider ist er zehn Minuten zu spät gekommen und schaut traurig auf den MTV-Bus, der verloren in der Sonne brutzelt.

kat / Foto: Nikolai Wolff