„Ausgerechnet Schießplatz, ausgerechnet bei uns“

■ Vermietung eines Bunkers in der Neu-Tempelhofer Fliegersiedlung bringt die AnwohnerInnen in Aufruhr. Beim Info-Abend stand der Stadtrat auf verlorenem Posten

Donnerstag abend in Neu-Tempelhof. Erst- und Zweitwagen stehen artig geparkt in den Garageneinfahrten der Einfamilienhäuser, Vorgärten werden von unsichtbarer Hand bewässert, ein sanftes Sommerabendlüftchen streicht durch die Baumkronen. Bundesring, Kanzlerweg, Scheidtplatz – kaum einer ist unterwegs; die Fliegersiedlung wirkt feierabendlich still und verödet.

Aufruhr herrscht dagegen zur selben Zeit in der Aula der Tempelherren-Grundschule in der Boelckestraße. Der Beschluß des christdemokratischen Baustadtrats Karl-Heinz Reipert, einen leerstehenden Bunker „ausgerechnet an einen Schützenverein, ausgerechnet in einer Grünanlage, ausgerechnet in unmittelbarer Nachbarschaft von Schule, Kita und Spielplatz“ zu vermieten, erhitzt seit Wochen die Gemüter der AnwohnerInnen. Den rund zweihundert AnwohnerInnen steht der Bezirkspolitiker Reibert an diesem Informationsabend sehr einsam gegenüber.

„Ich als Seniorin fühle mich bedroht.“ – „Wir wollen kein zusätzliches Gewaltpotential in unserer Gartenstadt.“ – „Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, daß Kinderspielplatz und Schießplatz einfach nicht zusammenpassen.“ Jede Wortmeldung aus dem Publikum wird mit tobendem Beifall bekräftigt. Baustadtrat Reipert hat Mühe, seine Schilderung der Dinge geordnet zu Ende zu bringen, so sehr drängt es die Anwesenden zum Widerwort.

Daß ein Sachverständiger des Landeskriminalamtes für Waffenrecht das komplizierte Genehmigungsverfahren für den Schießstandbetrieb erläutert, macht wenig Eindruck. Im Raum hängen bleibt dagegen dessen Nebensatz: daß Unfälle sich nicht natürlich nicht gänzlich ausschließen ließen. Das heizt die Phantasien in einer Versammlung an, die zwischen Hysterie über der Bedrohung ihrer Wohlstandsidylle und berechtigten Sorgen schwankt: „Kriminelle könnten versuchen, den Schützen die Waffen zu stehlen.“ Und Jugendpfarrer Thomas zittert aufgebracht: „Die ehtische Komponente kann nicht außen vor bleiben!“

Reipert hält der aufgebrachten Menge zwar roten Kopfes, aber stoisch argumentierend stand. Der erbosten Frage eines Bürgers – „Stört es Sie eigentlich nicht, daß fast alle betroffenen Anwohner gegen ihre Beschlüsse protestieren?“ – hat Reipert nur ein ernüchterndes „Wir leben hier in einer parlamentarischen Demokratie“ entgegenzusetzen. Hohnlachen der TempelhoferInnen erntet er dafür.

Ob Reipert angesichts der geringen Mitgliederzahl des Schützenvereins und der unverhältnismäßig großen finanziellen Aufwendungen nicht stutzig geworden sei, wird gefragt. „Wer garantiert denn, daß die zwölf Vereinsmitglieder bei allein 500.000 Mark Umbaukosten plus jährlich 24.000 Mark Miete nicht versuchen, kommerziell an andere Schießfreunde unterzuvermieten?, wollen andere Anwohner wissen. In der Siedlung war in den letzten Wochen bereits von Wehrsportgruppen gemunkelt worden. CDU-Stadtrat Reipert bringt nur eine knappe Antwort zustande: „Es ist nicht meine Sache, die finanzielle Situation des Vereins offenzulegen.“

Die Formulierung, die schließlich an diesem Abend leitspruchartig in der Aula schwebt, ist allerdings „mangelndes politisches Fingerspitzengefühl“. Die Anwesenden sind sich einig: Der Bezirk hat hier grob über die Interessen der BürgerInnen hinweggesehen und sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Am Ende geht man ohne Ergebnis auseinander. „Die Sache ist noch nicht ausgestanden“, meint jedoch Norbert Giesen von der Anwohnerinitiative. Die SPD, die nun „endlich Farbe bekannt“ habe, werde das heikle Thema im Bezirksparlament thematisieren. „Und zusammen mit der Gesamt- elternversammlung der Schule und der Kirchengemeinde werden wir weiter Briefe schreiben – wenn es sein muß, dann auch an Stahmer und Diepgen“, versichert Giesen. Eva Behrendt