Leichte, sommerliche Quellbewölkung

Schöner arbeiten und wohnen als Fata Morgana – über das Genre der Bauschild-Malerei, die Baustellen- PassantInnen detailreich ein hauptstadtfähiges Berlin der Zukunft suggeriert  ■ Von Dorothee Wenner

Berlin sei jetzt eben nicht mehr nur für sich selbst da, sondern „Schaufenster und Repräsentant unseres Staates,“ erklärte Innensenator Jörg Schönbohm, als er die Wagenburg an der East Side Gallery räumen ließ. Zukunftsvisionen von dem, was dem Saubermann vorschwebt, wenn er die noch nicht vorhandene „Hauptstadtfähigkeit“ einklagt, offenbaren möglicherweise die Bauschilder.

Ein Genre, das lange Zeit als simple Gebrauchskunst vor sich hin dümpelte und nichts anderes wollte, als mit bescheidenen Skizzen und Graphiken interessierten Bürgern und Nachbarn Basisinformationen zum jeweiligen Bauvorhaben zu liefern. Mit dem Nachwende-Baumboom änderte sich das schlagartig: Ähnlich wie für die Gaukelei und andere Krankünste tat sich für die Bauschildermalerei plötzlich ein neuer Markt auf. Als PR-Maßnahme stehen diese Bilder jetzt vor jeder größeren Baustelle, wobei die Faustregel gilt: Je prächtiger und aufwendiger die Gemälde, desto ungesicherter die Vermietung bzw. der Verkauf des dargestellten Objekts.

Am häufigsten sind derzeit computersimulierte Szenen, in Einzelfällen, in denen man sich sehr um künstlerisch erzeugte Urbanität bemüht wie bei Aldo Rossi in der Charlottenstraße, wird auch mal zum Aquarellpinsel gegriffen. Ähnlich ambitioniert wirkt der schwarzweiße Pointillismus, in dem das „Bürohaus am Friedrichstadtpalast“ dargestellt wird. In jedem Fall lohnt sich jedoch der Blick auf die Details – darauf, wie sich die Bauschildmaler, die Bauherren, Architekten und zukünftigen Neubaunutzer „Berlins Zukunft“ vorstellen.

Um oben anzufangen: Der Himmel über dem hauptstadtfähigen Berlin der Bauschildmalerei ist fast ausnahmslos blau, hoch und am liebsten mit leichter, sommerlicher Quellbewölkung versehen. Regen kommt nicht vor, ebensowenig existieren Staus. Ein paar bunte Pkws fahren munter über penibel markierte Straßenverläufe oder parken bequem in reichlich vorhandenen Parktaschen – ohne Hinweise auf die im heutigen Alltag oft lästige Parkraumbewirtschaftung. Dabei läßt sich in der Bauschildmalerei ein Hang zu amerikanischen Automarken zu beobachten.

Selbstredend gilt das nicht für debis, dort gibt es nur Mercedesse, die jedoch nicht nur am Potsdamer Platz beliebte Malobjekte sind. Daß in der Bauschildmalerei ewiger Sommer herrscht, erkennt man auch an den Blumen und Bäumen in den Grünanlagen. Während bei letzteren nur schwer einzelne Sorten zu bestimmen sind – meistens ist es eine unbotanische Mischung aus Platane, Linde und Ficus Benjamini in unterschiedlicher Wuchsform – lassen sich bei einzelnen Schildern sogar Geranien, Tagetes und Datura ausmachen.

Angesichts der auf Fernwirkung konzipierten Bauschilder ist die akribische Aufmerksamkeit auf solche Details so bezeichnend wie die Auslassung aller anderen, die die Harmonie stören könnten: Graffiti, Wurstbuden, Straßenverkauf, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. In dem fast naiven Realismus der Bauschildmalerei kommen natürlich auch Menschen vor: kaum Jugendliche, selten Kinder, Alte, Punks, Junkies und hippieske Typen nie. Die Bauschildermänner tragen Anzüge in dezenten Tönen mit passenden Diplomatenkoffern, die Damen Kostüme und Sommerkleider entweder in hellen Sommerfarben oder als signalrote Tupfer, die mit den Rücklichtern der Autos korrespondieren.

So gekleidet, scheinen die Bauschildermenschen stets auf dem Weg ins Büro oder von einer Besprechung zur nächsten: Arbeitswillige mit den Insignien von Festanstellungen und wohlgefüllten Konten. Zusammenrottungen meiden sie, die Bauschildermenschen gehen am liebsten allein oder zu zweit, gelegentlich in kollegialen Grüppchen, sie haben offensichtlich keine Hunde und fahren weder mit Motorrädern noch mit Fahrrädern oder Kinderwagen spazieren.

Und Einkaufen tun sie ausschließlich im Umkreis der Friedrichstrasse: Dort gibt es auf den Bauschildern Geschäfte mit üppig dekorierten Schaufenstern (gleich zwei Computershops im „Atrium“) und vereinzelt gar Cafés („Hotel Adlon“), die nirgendwo sonst in Berlins Zukunft zu existieren scheinen. Nicht einmal in den neuen Wohnsilos in Kaulsdorf, obwohl dort namentlich schon dieser und jener Supermarkt seinen Einzug annonciert hat.

Freizeit kommt in der Bauschildmalerei nur außerhalb des öffentlichen Raums, im Privaten vor. Dort aber um so doller, zumal wenn die dazu gehörigen Eigenheimprojekte am Wasser liegen. Auf den Schildern bei den Wohnparks in Alt-Stralau und in Köpenick bilden die Boote auf der Spree den eigentlichen Bildmittelpunkt – hier flotte Yachten, dort romantische Ruderboote auf sanft plätschernden Mittelmeerwellen.

Bei den Villen im französischen Landhausstil am Golfplatz Seddiner See, die nicht direkt ans Ufer grenzen, bilden statt der Boote gestreifte Gartenmöbel den Blickfang. Und das muß wohl auch so sein, denn bei den Bauvorhaben werden schließlich nicht Eigenheime, Wohnungen und Büros, sondern Lebensstile verkauft. Entsprechend kann das Bauobjekt selbst in den Hintergrund treten und zur Kulisse von „Filmszenen im Stillstand“ werden.

Wie sehr sich Architekten mit der Rolle von Regisseuren identifizieren und die zukünftigen Bewohner als Schauspieler fühlen, läßt sich wohl nirgendwo so deutlich erkennen wie in Berlin-Karow, dem zukünftigen Vorabendserien-Paradies von Berlin. In gigantischen Dimensionen entstehen dort Wohnparks für Kleinfamilien, wo schon die ausgehobenen Gruben die Tragödie der jungen Mutti vorwegnehmen, die dort, fernab der Stadt, allabendlich auf den Gatten wartet, der aber erst spät nach Hause kommt und statt von der Geliebten in der Stadt etwas von Stau und Überstunden faselt.

Wie zum Hohn auf das kommende Unglück locken derzeit ein feistes Baby bzw. ein junger Vater mit nacktem Oberkörper & Baby die „Grünen Witwen“ herbei: „Damit Sie morgen besser wohnen!“ Radikal und avantgardistisch wird in Karow ganz darauf verzichtet, das Bauobjekt überhaupt noch abzubilden. Wozu auch? Es ist die konsequente Weiterentwicklung der Bauschildmalerei, die zu einer Architektur paßt, die nur noch Regieanweisungen gibt und vom Set räumen läßt, was nicht in den Hauptstadtfilm paßt.