Wechsel auf Rezept

■ Nur wenige wissen von der neuen Freiheit bei der Kassenwahl

„Oh, da bin ich ehrlich gesagt gar nicht informiert und kann überhaupt nichts sagen.“ Die junge Frau wendet sich ab und verschwindet in der Menge der Passanten. Es ist schwierig, auf Berlins Straßen jemanden zu finden, der sich bereits ausführlich über die Folgen der Krankenkassenreform informiert hat. Maik Reimann ist einer der wenigen, der Konsequenzen gezogen hat. „Ich wechsle“, meint der 23jährige Maler. „Die AOK ist einfach zu teuer. Meine neue Versicherung nimmt ein Prozent weniger an Beiträgen, bei gleichen Bedingungen.“

Auch sein Kollege Mario Schmelzer hat sich kundig gemacht, allerdings mit anderem Ergebnis. „Ich habe mit meiner Versicherung gesprochen, und die haben mir auch schon angeboten, daß ich Geld zurückbekomme, wenn ich übers Jahr wenig krank bin.“ Seine Kasse würde sich derzeit außerordentlich bemühen, ihn als Kunden zu halten. Und so sieht er keinen Grund zu wechseln.

Umworben fühlt sich auch Holger Redger. Doch machen ihn die Broschüren seiner Versicherung eher skeptisch, die nun im Briefkasten eintrudeln. „Wenn die es auf einmal so nötig haben, dann befürchten sie wohl, daß ich auf bessere Angebote stoße“, meint der 38jährige Schlosser. Deshalb will er nun erst mal Tarife und Leistungen der Konkurrenz studieren.

Die Zufriedenheit der Kunden dürfte für die Versicherungen derzeit das größte Kapital sein. Je seltener die Probleme mit Formalitäten, je geringer die Einschränkungen bei der Wahl der Therapie oder Medikamente sind, desto weniger sehen die Versicherten einen Grund zum Wechsel. So vertrauen die meisten der Angesprochenen weiterhin ihrer Stammversicherung.

„Immer wenn ich die Versicherung gebraucht habe, war sie da. Die Beiträge gehen automatisch vom Konto ab. Ich muß mich um nichts kümmern“, berichtet Heiko Merzel von den Erfahrungen mit seiner Kasse. Der 34jährige Armaturenschlosser hat zwar von der Möglichkeit zum Wechsel gehört, sieht aber „überhaupt keinen Anlaß“, sich weiter Gedanken über dieses Thema zu machen. Und er schreckt vor dem „Risiko des Wechselns“ zurück: „Eine billige Krankenversicherung würde mich schon reizen. Aber ob dann die Leistung noch stimmt, weiß man erst, wenn es zu spät ist. Die versprechen einem ja das Blaue vom Himmel.“

Nur wenige Versicherte setzen große Hoffnung auf attraktive Zusatzleistungen der Kasse. Ohnehin haben die meisten bisher wenig Gebrauch davon gemacht. „Bis jetzt mußte ich keine besonderen Leistungen in Anspruch nehmen“, sagt Elisabeth Grill. „Aber sollte es mal Probleme geben, sagen wir beim Zahnersatz, dann würde ich mich schon nach einer anderen Kasse umschauen.“ Schön fänd' es die 44jährige Erzieherin allerdings schon, wenn ihre Kasse Kurse für Fußreflexzonenmassage anbieten würde. „Das interessiert mich einfach.“

Maria Schreiber wünscht sich Bildungsangebote der Kassen, die sogar zur Kostensenkung beitragen könnten. Zur Zeit schaut sie sich um, ob es Versicherungen gibt, die Kurse in Naturheilkunde anbieten. „Dann müßte ich nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt laufen“, meint die Mutter dreier Kleinkinder. Sie hält viele Medikamente, die verschrieben werden, für überflüssig und überteuert.

Aber noch eine ganz andere Gruppe ist am Wechsel der Versicherten interessiert: die Ärzte. Marlies Grocker beispielsweise schaut sich quasi auf Rezept nach einer neuen Kasse um. „Meine Ärztin hat mich darauf angesprochen, daß sie zur Zeit viele Probleme mit meiner alten Kasse hat“, erzählt die 41jährige Bürokauffrau. „Die Kasse hat ihr geschrieben, daß sie bestimmte Medikamente nicht verschreiben soll, weil sie zu teuer sind. Und auch mit meiner Kur gab es große Probleme. Deshalb bin ich jetzt bereit, die Kasse zu wechseln.“

Nun informiert sich Marlies Grocker über Zeitungen, aber vor allem bei Freunden und Bekannten, die bei anderen Kassen versichert sind. Dann will sie konkrete Angebote einholen. „Die Zeit drängt ja nicht“, sagt sie. „Die Reform tritt für uns schließlich erst noch in Kraft. Vielleicht bewegt sich da noch was.“ Gereon Asmuth