Freier Kassenkampf in Maßen

■ Zum 1. Januar kommenden Jahres besteht freie Kassenwahl. Stichtag: 30. September 1996. Doch bisher wechseln nur wenige

Welche soll's denn nun sein? „Deutschlands größte Krankenkasse“ mit immerhin 6,6 Millionen Mitgliedern oder doch lieber „die Nummer eins unter den privaten Krankenversicherungen“, der 2,5 Millionen Menschen in Deutschland vertrauen? Am Ende bleibt es gar bei der Gesundheitskasse?

Seit Januar dieses Jahres können Versicherte, zunächst die freiwillig Versicherten, Arbeitsplatzwechsler und Berufsanfänger durch die Neuregelung im Krankenversicherungsgesetz entscheiden, welche Krankenkasse ihnen die liebste ist. Ab 1.1.97 dürfen dann auch Arbeiter, Angestellte und Sozialhilfeempfänger ihre gesetzliche Krankenversicherung frei wählen. Um im neuen Jahr in der Kasse ihrer Wahl sein zu dürfen, müssen sie bis zum 30. September der alten kündigen.

Doch warum eigentlich sollten sie dies tun? Mit Bauchtanz- und Snowboardkursen, subventionierten Besuchen in Schickimicki-Fitness-Studios oder gar Schlemmermenüs versuchten einige Krankenkassen anfangs unter dem Deckmantel der Gesundheitsförderung ihre Mitglieder bei der Stange zu halten oder neue zu werben. Solche Strategien sind nach Aussagen der Versicherer in Berlin kein Thema oder kein Thema mehr. „Wir sind auf diesen Zug gar nicht erst aufgesprungen“, sagt Detlef Natusch von der Landesvertretung der Technikerkasse. Natürlich biete man auch Kochkurse an. Schließlich verursachten ernährungsbedingte Krankheiten ein Drittel aller Kosten im Gesundheitswesen. „Unsere Mitglieder tragen dabei aber die Unkosten für die Zutaten.“

Auffallendstes Serviceangebot der Barmer hingegen war eine Urlaubs-Hotline. Unter der Service- Nummer konnten ihre Mitglieder weltweit rund um die Uhr fragen, was bei Sonnenbrand zu tun sei oder bei einem Mückenstich. Auskünfte zugesichert wurden auch bezüglich des nächstgelegenen deutsch- oder englischsprachigen Arztes für Urlaubs-Notfälle. Doch für solche Angebote wechselt kaum jemand die Kasse.

Was bleibt, ist das Lockmittel Beitragszahlungen. Während in Berlin der Beitragssatz der AOK bei 14,5 Prozent liegt, zahlt man bei der Betriebskrankenkasse Hochrhein-Wiesenthal derzeit nur 11,9 Prozent. Ein paar hundert Mark weniger, das könnte einen Kassenwechsel schon lohnen. Allerdings müssen Betriebs- und Innungskrankenkassen im Gegensatz zu den gesetzlichen Versicherern grundsätzlich nicht jeden aufnehmen, der beitreten will. Die Einsparungen dürften nur von kurzer Dauer sein. Denn wenn alle Krankenkassen gezwungen sind, jeden Versicherten aufzunehmen, konstatiert die Verbraucherzentrale, würden sich Unterschiede bald aufheben.

Eine Senkung der Beiträge sieht Natusch bei den Kosten, die ab kommenden Januar auf die Versicherer zukommen, nicht. Was bleibt, sind letztlich die Leistungen, an der sich die Qualität einer Krankenkasse messen lassen. 95 Prozent der Leistungen sind dabei gesetzlich vorgeschrieben. Das sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie schnell, wie unbürokratisch der Vater zur Kur oder die Großmutter zu den dritten Zähnen kommen.

Den Vorwurf, angesichts wachsender Kosten zu selektieren, Rentner etwa unter Verweis auf kostengünstigere Kassen aus der AOK zu drängen, wie es in anderen Bundesländern versucht worden sein soll, weisen die Berliner Versicherer weit von sich. „Dies würde dem Auftrag einer Krankenkasse vollkommen zuwiderlaufen und angesichts der gegenwärtigen Gesetzeslage auch überhaupt keinen Sinn machen“, sagt Natusch. Bislang sei es bundesweit üblich, daß Kassen wie die Techniker oder die Barmer über den sogenannten Risikostrukturausgleich Beträge in Milliardenhöhe an andere Kassen entrichten, zum Beispiel an die AOK.

Allein für die Barmer ist die Ausgleichszahlung im Vergleich zum Vorjahr um 85 Prozent gestiegen. Statt einer möglichen positiven Bilanz, steht die Kasse beispielsweise in Westdeutschland für das erste Quartal 1996 mit 276 Millionen Mark in der Kreide. „Der Risikostrukturausgleich garantiert, daß die Krankenkassen eine Solidargemeinschaft bleiben“, sagt Natusch. Vordergründig mache es daher keinen Sinn, nur mit jungen und gesunden Mitgliedern die eigenen Reihen stärken zu wollen. Deshalb könne man auch nicht wirklich von einem Wettbewerb der Kassen sprechen. Der Risikostrukturausgleich verhindere, daß Kassen effektiver wirtschaften. „Wir haben keine Möglichkeit, mit Leistungserbringern beispielsweise zum Vorteil unserer Kasse zu verhandeln.“

Kassen wie die Techniker oder die Barmer fordern auf lange Sicht die Abschaffung der Ausgleichsmaßnahmen, zumindest aber einen Risikostrukturausgleich auch zwischen den einzelnen Ortskrankenkassen der AOK. „Die finanziell gesunden“, so Natusch, „könnten den kranken helfen.“ Kathi Seefeld