Schwere Zeichen

Fahnen, Glatzen, Springerstiefel: Die Ikonographie neonazistischer Jugendlicher in TV-Hakenkreuzkrimis klebt noch immer an alten Bildern  ■ Von Rainer Vowe

Robin hat Mutter und Schwester verlassen; doch einsam ist er nicht, eine neue Gemeinschaft nimmt ihn auf. Als Robin zum erstenmal die Wohnung eines aktiven Nazis betritt, demonstriert die Kamera in Nahaufnahme das Muskelspiel eines Bodybuilders.

„Kahlschlag“, eine Fernsehproduktion von WDR und arte, inszeniert so die neue Perspektive eines Einsamen, seine Orientierung auf den Gemeinschaftskörper und dessen Materialität als ein verläßliches Medium, mit dem sich kämpfen läßt. Die Inszenierung komprimiert damit einige jener Annahmen, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre erklären halfen, warum Jugendliche potentiell zu den Neonazis gestoßen werden können:

– Robin kommt aus einem zerrütteten Elternhaus des Kleinbürgertums;

– er repräsentiert eine orientierungslose Jugend, die weder zu Hause noch in der Schule Anerkennung findet;

– die gibt ihm das Nazi-Asyl.

Die Ablösung vom alten Milieu, in dem die Aufforderung, „miteinander zu reden“, Hilflosigkeit und Verstockung produziert, kommentiert „Kahlschlag“ mit Heavy-Metal-Musik, „Reden“ wird gegen aggressive Musik und Körperlichkeit getauscht.

Es sind an die 20 Fernsehspiele, die von 1992 bis 1995 sich des „jugendlichen Gewalttäters“ annehmen. Zuvor Gegenstand der Expertisen von Jugend- und Gewaltforschern, wird er nun in Talkshows, Reportagen, Brennpunkten und Dokumentarfilmen zu einer Spezies, die einen „Krieg in den Städten“, den „molekularen Bürgerkrieg“ (Hans M. Enzensberger) auszulösen scheint. Die Mordbrennerei in und ab Hoyerswerda 1992 bringt aber auch die Unterhaltungsverantwortlichen und damit das Genre Fernsehspiel derart auf, daß Drehbücher und Casting um rassistisch motivierte Gewalt organisiert werden; dieser zeitgenössische Bezug wird nun auch dem „Tatort“, „Polizeiruf 110“, den Sonntagabendkrimis eingeschrieben, so daß man zugespitzt von einem Subgenre des Fernsehspiels, dem Hakenkreuzkrimi, reden könnte.

Mit Ausnahme von R. Stromberger („Tödliche Wahl“) sind alle Regisseure und Drehbuchautoren des Unterhaltungsstoffs Neonazismus jüngeren Alters und – zweite Auffälligkeit – männlich.

Alle Produktionen wollen den Gründungsanspruch des deutschen Fernsehens einlösen, Unterhaltungsstandards, hier der Genres Fernsehspiel und Krimi, mit sozialen und politischen Handlungsmustern zu verbinden, filmisch gesehen das Fiktive mit dem Dokumentarischen zu verknüpfen.

Der Hakenkreuzkrimi konstruiert ein soziales Feld, auf dem sich die Nazis und Rassisten rekrutieren lassen; es erstreckt sich vom Fußballfan bis zum „Komasaufen“. In „Die Bombe tickt“ wird die Werbung um Hooligans und Skins explizit als Strategie von White-collar-Nazis ausgegeben; das Fernsehspiel aktualisiert damit das Goebbels-Konzept der „Krawalljugend“, die der nationalen Bewegung zuzuführen sei.

Mit dem Eintritt in eine nazistische Gruppe, der Veränderung des Outfits und der Beteiligung an Delikten – genreüblich stellen Krimis meist Morde an ihren Beginn – ist das Schicksal des Delinquenten jedoch nicht besiegelt; Drehbuch und Kamera widmen ihm deshalb ihre Aufmerksamkeit, weil er immer noch ein Grenzgänger ist, der unter gewissen Umständen auch wieder zur „Normalität“ konvertieren kann.

Dafür bedarf es allerdings einer starken Hand, meist eines Polizisten, der bei der Detektion den Grenzgänger aus dem neonazistischen Milieu herauszubrechen versucht. Die Aufgabe des Polizisten wird dabei neu formuliert; seine Genrevorgabe ist „search and destroy“; im Hakenkreuzkrimi hat er auch zu retten, „search and save“, das heißt mit pädagogischer Einfühlung zu agieren.

Die Topographie der Begegnungen, Blickwechsel und Delikte ist durch die Stadt als einem „Dschungel“ vorgegeben. Die Banlieu von Köln, Plattenbausiedlungen in der Ex-DDR, stillgelegte Fabriken – wie im Film Noir produzieren tote und abgeschiedene Orte der Stadt Tote. Dunkle Hinterhöfe, unbeleuchtete Treppenaufgänge lassen den nächsten Überfall erwarten, der mit Vorliebe nachts erfolgt; denn das „Gesindel scheut das Licht“. Nur Städte haben eine Unterwelt, die sich in U-Bahnhöfen zusammenrottet, um unbescholtene Bürger zu drangsalieren; Angstmotive des Bürgertums um die Jahrhundertwende haben rasch Eingang in die Topographie des Gangstertums gefunden. Das Kommunikationszentrum von TV-Nazis ist das Hinterzimmer einer Kneipe, in dem streng gescheitelte Redner in Empörung über „Demokraten“ („Tödliche Wahl“) geraten und die Zuschauer Unmengen von Flaschenbier konsumieren.

Alle Hakenkreuzkrimis und -fernsehspiele setzen ihre fiktionalen Anstrengungen (der Kamera, des Tons, des Lichts, der Action, des Castings, der Dialoge) in Beziehung zur Realität, besser: der dokumentierten Realität. Erforderlich ist die Glaubwürdigkeitsbezeugung, das vorgeführte Spiel beruhe auf wahren Verhältnissen. Dieser Anspruch, im Reich des Verbrechens nicht wie selbstverständlich die Regeln der Dramaturgie und des Genre walten zu lassen, sondern sich immer wieder einer – wie plausibel auch immer – behaupteten Wirklichkeit zu versichern, hat sich schon früh im deutschen Fernsehen ausgeprägt; für „Stahlnetz“ (1958–1968; Jürgen Roland) zum Beispiel seien, so wird hervorgehoben, die einzelnen Folgen „nach Akten der Kriminalpolizei rekonstruiert worden“.

In dieser Tradition betont Hanno Brühl, Regisseur von „Kahlschlag“: „Mir liegt daran, auch im Fiktionsbereich quasi dokumentarisch, möglichst authentisch zu sein.“ Auf der anderen Seite „glaube ich ..., daß man mit fiktiven Erzählformen an die Jugendlichen besser herankommt“. Damit beschreibt Brühl das Dilemma von Fernsehspielen: Unterhaltungsregeln zu folgen, Spannungsbögen zu schaffen und für die Faszination zu sorgen, andererseits die Erfordernisse der Unterhaltung einem Authentizitätsrahmen einzupassen, der die Fiktion beständig mit der dokumentierten Realität kompatibel macht. Der Anspruch der vorgestellten Fernsehspiele ist es also, soziale Handlungsmuster mit den Genreregeln zu synchronisieren.

So wird zu Beginn von „Die Bombe tickt“ die Schrift eingeblendet: „Die Handlung des folgenden Films ist frei erfunden. Aber die Bedrohung, die er zeigt, ist sehr real – und sie wächst von Tag zu Tag.“ Die Ereignisse des Films sind durch eine Chronologie miteinander verbunden, die mit Untertiteln eingeblendet wird, wie „Berlin, 21. Oktober 1992“. Die (fiktive) Handlung ist also datierbar und lokalisierbar.

Immer wieder wird die „Tagesschau“ eingeblendet mit den Informationen zu den Lichterketten, und ihr Sprecher Jo Brauner verliest im Rahmen der „Tagesschau“ auch Informationen, die allein für die fiktive Handlung von „Die Bombe tickt“ gültig sind. Um den Synchroneffekt von Inszenierung und Realität hervorzurufen, sind identifizierbare Autokennzeichen, „echte“ Polizeieinsätze, Schlagzeilen der Bild-Zeitung geeignet.

Die Inszenierung von Skins und des neonazistischen Personals greift umgekehrt auf deren Abbildung in anderen Filmen zurück und kann so ein Bildwissen abrufen, das für die Wirklichkeit gehalten werden soll: Fahnen, Uniformen, Hakenkreuze, ausrasierte Nacken, Glatzen, Scheitel, Springerstiefel werden als schwere Zeichen ins Bild gesetzt, die dem Geschehen die gewichtige historische Dimension verleihen. Die TV-Ikonographie für den Neonazismus orientiert sich an den stilprägenden Filmen der frühen 70er wie Luchino Viscontis „Die Verdammten“, Louis Malles „Lacombe Lucien“, François Truffauts „Die letzte Metro“ und Liliana Cavanis „Der Nachtportier“. Sie haben den Nationalsozialismus mit einer suggestiven Bildlichkeit gestaltet, die für Spiel- und Fernsehfilme verbindlich geworden ist. Die routinehafte Verwendung dieser Nazi-Ikonographie läßt den Neonazismus bei den alten Bildern stehen: Für dessen virtuelle Analyse läßt sich – außer Skins und der sporadisch verwendeten Rechts- Rockmusik – nichts Neues entdecken.

„Kahlschlag“ beginnt wie ein Videoclip bei MTV: schnellgeschnittene Porträts der Protagonisten, heftige Musik und Ereignisse des folgenden Films im Zeitraffer; der Titel „Die Bombe tickt“ wird von Flammen umzüngelt und wirkt wie eine Kombination der Jünglinge im Feuerofen und einem prophetischen Mene tekel U-Farsin, der Schrift an der Wand.

Doch diese Filmartistik wird nie wieder genutzt, um für Überraschungen, Irritationen und bleibende Bilder zu sorgen. Im Gegenteil, die Enden der Fernsehspiele sind konventionelle Erzählschlüsse: der Opfertod, die Läuterung, der Selbstmord. Nazism doesn't pay, der Normalismus hat ihn justiert. Die Gegenwart der Hakenkreuzkrimis ist bereits abgeschlossen, sie sind gegen die Zukunft des Publikums abgeschottet: Niemand wird von ihnen betroffen gewesen sein müssen.

Gekürzter Vorabdruck aus: Sabine Jungk (Hg.): „Zwischen Skandal und Routine? Rechtsextremismus in Film und Fernsehen“. Schüren Verlag, Marburg 1996. Das Buch gehört zu einem neunteiligen Medienpaket des Adolf Grimme Instituts.

Informationen und Bezug: Fax (02365) 918989