Im Darkroom der großen Bildungsthemen

■ Peter Hoegs vollsaftige Erzählungen: „Von der Liebe und ihren Bedingungen“

Die Erlösungshoffnung der Literaturkritiker, ein pralles Erzählwerk möge endlich die Gegenwart einfangen und gestalten, ist in sich widersprüchlich. Denn die Gegenwart, die Moderne überhaupt, stört beim Erzählen ja nur. In der Moderne ist so gut wie alles Verhandlungssache. Richard Rortys „liberale Ironikerinnen“ kennen sich am besten in ihr aus. Der Erzähler dagegen hat bekanntlich „seine Autorität vom Tod geliehen“ (Walter Benjamin), der Instanz, mit der nicht einmal die Moderne verhandeln kann.

Peter Hoeg ist offenbar finster dazu entschlossen, „wieder richtig zu erzählen“. Seinen sechs perfekt gearbeiteten, aber merkwürdig museal wirkenden Erzählungen über die Liebe kann folgerichtig nur der Tod die nötige Eindeutigkeit, Tragik und Verbindlichkeit geben. Die Liebe ist nicht mehr als sein Deckthema. So geht es bei Hoeg zu, wenn sich einer verliebt: „Als ich den Raum verließ, saß Andreas ganz still im Sessel, als hätte er eine Axt auf den Kopf gekriegt, und betrachtete die Stelle, an der ihre Fußsohlen den Boden geküßt hatten. Ich sagte nichts, zum einen wollte ich das Erlebnis bestimmt nicht zerreden, zum anderen wirst du mir darin recht geben, daß man einen, dem der liebe Gott eine Art Hirnriß verpaßt hat, nicht ansprechen soll.“

Erst indem sich die Gewalt mit der Liebe, die bekanntlich trivialerweise jeder so irgendwie gerade noch hinkriegt, verbindet, kann sie den Erfahrungshunger stillen, jenes Bedürfnis nach einer „Substitution von Sinn durch Sinnlichkeit, die Sinnlichkeit von Schrecken und Schmerz, die stumm alle Sinnzusammenhänge durchschlagen und dem Individuum eine einzigartige Souveränität verschaffen soll“ (Michael Rutschky).

Nicht etwa durch die Verpflanzung ins sadomasochistische Milieu oder in die Risikokultur der „Beziehungsprobleme“ wird die Liebe bei Peter Hoeg abenteuerlich und gefährlich genug für literarische Bearbeitung, sondern durch ihre Versetzung ins Ensemble der „großen Themen“ des 19. Jahrhunderts, die bei ihm so etwas wie den Darkroom des gebildeten Menschen ausmachen: die menschenfreundliche Kolonisation, die ins Herz der Finsternis führt; die durch Leiden, Kälte, Schmerz erkaufte Kunst; die Wissenschaft ohne Menschlichkeit; die Ehehölle. „Da bewegte sich von Lettow-Vorbeck, und wie die großen Katzen griff er lautlos an. In einer langen, geschmeidigen Bewegung näherte er sich der Afrikanerin. Er hatte seine Hände erhoben, sie waren gespannt und weiß, und in diesem Bruchteil einer Sekunde erkannte David hinter dem Alter und den militärischen Ehrenzeichen blitzartig die überrumpelnde Schnelligkeit der preußischen Kampfmaschine.“

Der historisierenden Aufwertung des Themas entspricht eine akademisierende Stilgebärde. Hoegs Erzählungen nähern sich dem Pastiche. Sie klingen nach Borges, sie imitieren die orientalische Erzählhaltung der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, sie treffen den Ton von H. G. Wells oder Joseph Conrad. Man könnte ihre merkwürdige und für irgend etwas an der derzeitigen Literaturszene sehr typische Mischung aus Dramatisierung, Archaisierung, Brutalisierung und hohem Stil mit Robert Schneiders Roman „Schlafes Bruder“ vergleichen, und es ist gut denkbar, daß er einen ähnlichen Erfolg erzielt.

Hoegs Kunstfertigkeit jedenfalls ist bewundernswert, und seine Erfindungen – etwa eine wunderschöne Frau, die an nichts Interesse hat als an der wissenschaftlichen Erforschung ihrer Wirkung auf Männer; eine japanische Handwerkerin, die vollkommene Parabolspiegel herstellt, indem sie sie mit ihren Fußsohlen poliert; ein von der ganzen Nation als Bild der vollkommenen Ehe angeschwärmtes Paar, das ein generationenalter Fluch dazu zwingt, an ihrer Beziehung viehisch zu leiden – halten noch die liberalste Ironikerin knapp 300 Seiten lang gefesselt.

Aber man hat nach der Lektüre auch das sehr deutliche Gefühl, nichts gelernt zu haben, was man nicht schon vorher wußte: daß die Liebe schön ist und schrecklich grausam sein kann. Schöner lesen mit Peter Hoeg macht Spaß. Aber wenn man den sehr lesbar übersetzten und, wie bei Hanser üblich, perfekt gestalteten, gebundenen und gedruckten Band dann durch hat, sehnt man sich nach profanen Beschreibungen der Liebe nach so viel himmlischer. Ein so begabter Schriftsteller wie Peter Hoeg sollte sich nicht einreden lassen, man müsse jetzt „wieder richtig erzählen“. Gerade daß er es kann, zeigt nämlich, daß es sich nicht wirklich lohnt. Stephan Wackwitz

Peter Hoeg: „Von der Liebe und ihren Bedingungen in der Nacht des 19. März 1929“. Aus dem Dänischen von Monika Wesemann. Hanser, 282 Seiten, geb., 39,80 DM