■ Mit Verkehrsrowdies auf du und du
: Leistungsfetisch

Berlin (taz) – Rowdies erobern die deutschen Straßen. Der TÜV Rheinland in Köln hat in seiner neuesten Auswertung des Verkehrszentralregisters in Flensburg herausgefunden, daß sich die Zahl der wiederholt aufgefallenen Raser, Drängler und Rotlicht-Sünder im vergangenen Jahr im Vergleich zu 1994 um 10,5 Prozent erhöht hat. 17.607 Autofahrer mußten sich auf Anordnung der Straßenverkehrsbehörden einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen, weil sie die 18-Punkte-Grenze im Flensburger Verkehrszentralregister überschritten hatten.

„Der Trend zu PS-starken Autos kommt einem wahren Leistungsfetischismus gleich“, sagt Ludwig Könen, Sprecher des TÜV Rheinland. Vor allem die Autobahn werde zunehmend als rechtsfreier Raum gesehen, in dem die Motorleistung einzige Beschränkung ist.

Ein Tempolimit könnte die Rowdies bremsen, schätzt deshalb Gerd Lottsiepen, Referent beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). Doch für den Verkehrspsychologen Klaus-Wolfgang Herberg ist der Straßenverkehr als Spiegelbild einer auf Konkurrenz ausgerichteten Gesellschaft. Je ausgeprägter das Konkurrenzverhalten im Beruf, desto höher liege die auf der Autobahn realisierte Höchstgeschwindigkeit. In den Erhebungen des TÜV seien Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen Langsam- und Schnellfahrern von bis zu 65 Stundenkilometer verzeichnet worden.

„Langsamfahrer lassen sich dadurch häufig bis zum totalen Haß provozieren“, so Herberg. Oft wehren sie sich, indem sie die Unsitten übernehmen – sie drängeln, rasen und provozieren selbst. Der TÜV Rheinland stellt ein stetig steigendes Aggressionspotential im Straßenverkehr fest. Herberg: „Da kämpfen Junge gegen Alte, Männer gegen Frauen, große Autos gegen kleine Autos“.

Weil die Verkehrsdichte auf deutschen Straßen immer größer wird, können die gewünschten Geschwindigkeiten nicht mehr ausgefahren werden. Die Frustration äußert sich in gefährlichen Fahrmanövern. Bei dichtem Verkehr wechseln beispielsweise bis zu 68 Prozent der Fahrzeuge ohne erkennbaren Nutzen auf die Überholspur, wie die Bochumer Ruhruniversität in einer Studie über „Störungen im Autobahnverkehr“ nachgewiesen hat. Michael Obert