Riesig moralisch nach Badeunfall

■ Bei seiner Heimpremiere am Millerntor trennt sich ein weitgehend abwehrloser FC St. Pauli 4:4 von Schalke 04

Wir hören die Ruhrpott-Ikone Werner Hansch schon die Video-Bänder Schalke in der 90ern besprechen: „Damals am Millerntor – ein geiles Spiel!“ Und auch Christian Hinzpeter wird von unvergeßlichen 90 Minuten schwärmen – vorausgesetzt, zwei am Ende zum Klassenerhalt fehlende Punkte lassen ihn nicht noch verstummen.

Die Vorlage zur Legendenbildung gaben zwei Hintermannschaften, die sich rechtzeitig zum ersten St. Pauli-Spiel am Millerntor darauf besonnen hatten, daß ein Fußballspiel erst dann spannend wird, wenn auch der Gegner Tore schießen darf. Ein 4:4, das hatte es in diesem Bundesliga-Jahrzehnt noch nicht gegeben und dürfte St. Pauli – Schalke in den beliebten SAT1-Statistiken noch auf Monate einen Stammplatz garantieren. Doch St. Pauli-Trainer Uli Maslo war's trotz des Spektakels nicht zufrieden: „Ich habe noch nie ein Spiel erlebt, wo einer Mannschaft so viele Tore geschenkt wurden.“

Begonnen hatte alles schon am Freitag damit, daß St. Pauli-Abwehrchef und -Libero Dirk Dammmann in der Badewanne gestürzt war und sich eine Jochbein-Prellung inklusive eines Blutergusses am Auge zugezogen hatte. Für ihn wurde André Trulsen Libero, was wenig dramatisch gewesen wäre, hätte er nicht als Manndecker gefehlt.

So jedoch konnten selbst die bis dato ohne Treffer gebliebenen Schalker Kapital schlagen, zumal der zweite Verteidiger Tore Petersen mit dem zweifachen Torschützen Martin Max überhaupt nicht zurechtkam. Gegen Gladbach noch an Pfosten und Latte gescheitert, erwiesen sich die Schalker am Millerntor als genaue Schützen – vier Angriffe, vier Tore, teilweise mit Unterstützung von St. Pauli-Keeper Frank Böse.

Da litt der dpa-Kollege mit den Fans: „Die Getreuen kamen mit dem Bierholen, um die Treffer der eigenen Elf zu begießen und den Kummer über die Gegentore zu ertränken, gar nicht mehr nach.“ Ja, das ist Fußball, und wer zu schnell warmes Bier trinkt, ist selber schuld!

Daß es schließlich noch zur Punkteteilung kam, führte Uli Maslo auf die „Riesen-Moral“ und den „Siegeswillen“ seiner Mannschaft zurück. Letzterer verließ Carsten Pröpper jedoch in der Schlußminute, als er in aussichtsreicher Position den Ball übers Schalker Tor hob. Was moralisch eine riesige Tat war. Werner Hansch müßte sonst zu diesem Abend schweigen. Und das wäre nun wirklich schade für die Videosammlung. Folke Havekost

FC St. Pauli: Böse – Trulsen – Petersen, Stanislawski (46. Schweißing) – Eigner, Pröpper, Hanke – Driller (83. Pisarew), Sobotzik, Springer – Scharping (66. Emerson).

FC Schalke 04: Lehmann – Thon – de Kock, Linke – Latal, Nemec, Müller, Anderbrügge, Eigenrauch (66. Schön) – Max, Wilmots.

Schiedsrichter: Albrecht (Beuren) – Zuschauer: 19 775

Tore: 0:1 Max (11.), 1:1 Driller (15.), 1:2 Thon (34.), 1:3 Wilmots (38.), 2:3 Trulsen (54.), 2:4 Max (61.), 3:4 Springer (64.), 4:4 Sobotzik (67., Foulelfmeter).