■ Schöner leben
: Rettet mich!

Erinnern wir uns: Man schrieb einen Brief, zum Beispiel „Rettet mich, ich sitze auf einer unbekannten Südseeinsel, habe nichts zu essen und zu trinken, und jetzt kommen da hinten drei nackte Wilde mit Spießen, ja was machen denn die, aber nicht doch, hehe, laßt mich, o nein, neiiiin! Aaaargggh...“ Brief in die Flasche, zugestöpselt, in den Ozean geworfen – fertig war die Flaschenpost.

Heute nimmt man eine Vilsa-Flasche und benutzt seinen Diamantring. Ritzt in die Flasche: „Affe ist der das trinkt. Manfred war das. Den er ist nervös. Den er wird Vater. Seit dem muß er wixsen Hahaha.“ Man ritzt des weiteren ein Bild mit Sonne und Wolken, einer großen Sonnenblume, einem bärtigen Mann mit großem Pimmel und schreibt darunter: Wagner Thomas. Flasche in die Pfandkiste, bei EDEKA zurückgegeben – fertig ist die Flaschen-Mail.

Wer heute frisches Mineralwasser vom Verbund „Leihflasche Deutscher Brunnen“ oder irgendwas anderes aus einer Pfandflasche trinkt, kann mit Glück unter dem Etikett Botschaften finden. Man ahnt ja nicht, was auf eine Flasche alles paßt: Gedichte! Rezepte! Telefonnummern! Telefonnummern von Feinden! In heiklen Fällen ist diese Post die anonymste überhaupt. Die dumme Sprudelfabrik wäscht das vermeintliche Leergut, klebt neue Etiketten drauf, und die Post geht zum nächsten Trinker. Der kommentiert: „Lieber Wagner! Wer wixt, muß kein Affe sein. Wer Vater wird, muß kein Vilsa trinken. Merk's dir, du bepißter Bartträger! Und: Hände weg von Manfred!“

Geübte Mailer wissen längst, daß nicht nur reiche Diamantbesitzer mitmachen können. Quarzitstückchen findet man in Granit („Feldspat, Quarz und Glimmer ...“). Und der örtliche Drogist verkauft gern die ätzende Chemikalie „Wasserglas“, die man in einen Tintenstift füllt.

Wohlan, ich ritze, und zwar auf eine Beck's-Flasche, damit es New York oder Moskau erfahren: „Rettet mich, ich sitze in einer miefigen, überhitzten Redaktion, habe nichts zu essen oder trinken, und jetzt kommt da hinten der Chef vom Dienst, aber nicht doch, hehe, laß mich, o nein, neiiiin! Aaaargggh...“

Burkhard Straßmann