Hardrock mit Meerblick

■ Beim „Scorpions“-Konzert Samstag am Bremerhavener Deich hat unser Kritiker einen Hauch von Woodstock verspürt

Es war ein spektakuläres Ereignis und eine suggestive Szenerie. Fünfeinhalb Stunden lang rauschte am Samstag abend eine gewaltige Rockmusik-Welle über Bremerhaven. Die „Leningrad Cowboys“ und die „Scorpions“ waren dank des günstigen Windes fast in der gesamten Stadt zu hören. Mindestens 20.000 Leute hatten sich in den frühen Abendstunden am Weserdeich niedergelassen, um sie zu sehen. 80 Meter vom Ufer entfernt lag die schwimmende Bühne auf einem 115 Meter langen und 30 Meter breiten Seeponton. Zwei Kräne hielten die 20 Tonnen schweren Lautsprecherboxen elf Meter über Wasser. Wer kein Fernglas mitgebracht hatte, mußte mit der Großleinwand neben dem Bühnenzelt vorlieb nehmen.

Zu malerisch war die Kulisse direkt am Wasser, ein leichtes Woodstock-Gefühl und entsprechende Rauchwolken hatten sich über den Deich gelegt, nachts leuchteten die Girlanden der zur Rechten des Pontons am Kai liegenden Schiffe; Dutzende von Kleinseglern und Motorbooten hatten sich im Umkreis der Bühne auf dem Fluß versammelt.

Auf dem Deichgelände saßen alle Altergruppen zwischen zehn und 50, viele waren mit der ganzen Familie unterwegs. Chris Jones (USA) und Steve Baker (GB), zwei exzellente Bluesmusiker, übernahmen den undankbaren Part der Vor-Vor-Gruppe, aber ihre langen Slidegitarren- und Harmonica-Soli hinterließen den besten Eindruck. Die „Leningrad Cowboys“ mit ihren bizarren Haartollen und Schnabelschuhen spielten griffigen Geradeaus-Rock und gängige Melodien („Smoke on the river“) zur untergehenden Sonne.

Als die Scorpions um 21.20 Uhr endlich loslegten, sind die Sorgen mit dem unberechenbaren Wetter vergessen. Es blitzt und nebelt gewaltig unter dem Himmelszelt, die Scheinwerferbatterien liefern zu den klassischen und neuen Nummern der „Scorpions“ ein imposantes Farbenkonzert, Richtscheinwerfer leuchten das Wasser und den Deich ab. Während der unvermeidlichen Zugabe „Winds of change“ tröpfelt es noch einmal, und der Wind wird wie gerufen stärker. Dennoch wabern Hunderte von Wunderkerzen über den Deich, und als die „Scorpions“ mit „Rock me like a hurricane“ den Abend beenden, haben sie sich bei den wettergeprüften Bremerhavenern endgültig in die Herzen gespielt. Zum Beispiel in das des 24jährigen Michael aus Gnarrenburg: Dies hier, sagt er, ist vor allem eine große Party, die Stimmung und das Bier sind gut.

Hans Happel