Der Barbier von Bebra (19)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Harry Rowohlt hat einen Übeltäter gefaßt. Ist es der Bartmörder?

Gisela Güzel schrak aus dem Schlaf. Sie machte Licht. Es war sechs Uhr morgens, und sie mußte sich schütteln und kneifen, um sich zu vergewissern, daß es nicht wieder 1974 war und sie beim Schlesiertreffen saß, mit Brosche und Pferdeschwanz, zehn Jahre alt, gemaßregelt, eingekeilt, von knasterbärtigen Vertriebenen belämmert und betatscht...

Sie warf die Decke zurück, setzte sich auf und rümpfte die Nase. Es gab Stoßlüftung, Querlüftung und Dauerlüftung, das wußte sie von ihrer reinlichkeitsverrückten Mutter, aber keine dieser Methoden hatte den stäbigen Studentenfuttergeruch aus der Wohnung vertreiben können.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Gisela Güzel zog den Bademantel an und ging in die Küche.

Kein Kaffee mehr da. Es war zwar unappetitlich, aber es sah ja niemand zu, und ohne Kaffee konnte die Kommissarin den Mörder bestimmt nicht finden. Also klaubte sie die Filtertüte vom Vortag wieder aus dem Eimer und ging ans Werk. Hauptsache, es schmeckte nicht nach „Peter's Wurst-Stopp“.

Im Wohnzimmer legte sie die Füße auf den Couchtisch und zappte sich durch die Kanäle. Bei TRT blieb sie hängen, einem türkischen Durchhaltesender, dem sie bislang wenig Beachtung geschenkt hatte. Ein stabiler Türke rülpste ypsilonüberwürztes Liedgut. Er trug einen monumentalen Schnurrbart, groß und schwarz und rechteckig wie eine Videokassette. Die Kulisse war mit Korkwänden und rüden Blumenschüsseln bestückt.

Dann walzten drei füllige Damen mit Körbchengröße Ü ins Bild. Künstler mit Videokassettenschnauz umgürteten sie mit Würsten. Ab und zu war auch ein Jüngling zu sehen, der auf einen drahtbespannten Knüppel einschlug. Die Töne, die er seinem Instrument entlockte, erinnerten an nichts Gutes – Brühwürfel und Nasenhaare wurden hier ins Geräusch erlöst, während immer mehr Honoratioren mit gebürsteten Schnauzbürzeln auf die Bühne stürzten.

Das ist also TRT, grübelte Gisela Güzel. TRT. Trrrt. Trrrt. Auch im Großtürkischen schien das Schlesiertum nun Fuß gefaßt zu haben. Was für ein Trauerspiel.

Sie räkelte sich, griff nach dem Kaffeebecher und wollte ihn gerade über der Stechpalme ausgießen, als das Telefon klingelte. Nur das nicht! Hoffentlich hat dieser Nikolaus nicht auch noch meine Telefonnummer herausgefunden, dachte sie und nahm den Hörer ab.

„Wir haben ihn!“ Kommissar Hunters Stimme schnappte vor Begeisterung fast über. „Auf frischer Tat ertappt! In Hamburg! Sie fliegen in einer Stunde rüber und stielen die Sache ein!“

*

Auf der Davidswache hielt Harry Rowohlt mittlerweile Hof wie ein König. Hunderte von Polizisten hingen an seinen Lippen. “...und dann hopst dieser Knilch mit seinem Obstmesser aus dem Gebüsch und keift: ,Ich schneid dir den Bart ab, du Zoni!‘ Da habe ich ihm eine gedullert, denn das wollte ich natürlich nicht auf mir sitzenlassen. Den Knilch allerdings wollte ich liegenlassen. Aber dann fiel mir die Geschichte mit dem Bartmörder ein. Und die Belohnung. Kann ich die jetzt mal haben? Seit fünf Stunden rede ich mir hier den Mund fusselig!“

Gisela Güzel zwängte sich durch die Beamtentraube und ging in den Zellenkeller hinunter.

Ein Polizist schloß ihr eine der Kasematten auf. Auf feuchtem Stroh wälzte sich ein korpulenter Mann, dessen nackter, glänzender Oberkörper über und über mit Lametta behangen war. Das Diadem auf seinem Kopf ließ ihn wie einen dicken Weihnachtsbaum wirken. Regelmäßiger Kokainverzehr hatte breite Schmauchspuren in sein fleischiges Gesicht gegraben.

Fortsetzung folgt

Erscheint im Herbst bei Edition Nautilus