■ Aus fehlendem Zutrauen in das rot-grüne Reformprojekt wird bei den Grünen über Bündnisse mit der PDS disputiert
: PDS braucht noch Entwicklungszeit

Wer die Widersprüche in der PDS zum Tanzen bringen will, wird sich mit dieser Partei im Kreis drehen. Nüchtern betrachtet sind es nur zwölf Prozent der Ostdeutschen, die die PDS wählen. Für die meisten kommt sie jedoch aus guten Gründen oder schlechten Erfahrungen nicht in Betracht.

Denn während die CSU ihren bundespolitischen Anspruch immer wieder einmal mit der Drohung einer bundesweiten Ausbreitung unterstreicht, kann die PDS damit niemand mehr erschrecken. Ihr Ansturm auf Bremen entpuppte sich als Flop. Altbacken wirkt ihr Agitpropstil im Westen. Hintze & Co. wissen das. Sie brauchen keine neue Rote-Socken- Kampagne. Ihnen reichen die gerahmten Zitate von Lafontaine, Trittin und Müller.

Wer die Botschaft: „Notfalls mit der PDS“ aussendet, braucht sich somit über das Echo nicht zu wundern. Mit der Idee, daß auch die PDS mit im rot-grünen Boot sitzen könnte, wird ein Traumschiff konstruiert, daß schon beim geistigen Stapellauf auf einen gesellschaftlichen Eisberg prallt und spätestens beim Knall der Rotkäppchenflasche auseinanderbricht.

Allein die jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig- Holstein haben schonungslos und in erster Linie die SPD-Schwachstellen im rot-grünen Projekt offengelegt. Jetzt die Lücken mit der PDS auszufüllen, verschafft Guido Westerwelle noch mehr Oberwasser. Helmut Kohl kann sich bereits jetzt auf die Fortsetzung seines politischen Ruhestandes freuen.

Sollte die Diskussion nicht eindeutig beendet werden, müssen die Bündnisgrünen zumindest mit der Verabschiedung ihres Wahlprogrammes klären und entscheiden, ob die PDS in die Wahlformation gegen die Regierungskoalition einbezogen wird oder nicht.

Doch abgesehen von diesem naiven Machtkalkül: Wofür wird die PDS auf Bundesebene eigentlich gebraucht? Gewiß, sie sitzt im Bundestag. Mehr nicht. Bisher hat die bunte Truppe dort keinen einzigen Punkt gemacht. Der große alte Mann, der den kleinen Knilchen mal zeigen wollte, was Politik ist, hat bei der erstbesten Gelegenheit sein Mandat weitergegeben und ist heymgegangen.

Ich sehe keinen Gedanken, keinen Ansatz, den es nicht auch bei der SPD oder den Bündnisgrünen gibt. Nur das Gerede über mögliche Koalitionen hat die PDS wieder interessant gemacht. Doch warum sollten die Kutscher und Beifahrer, welche die DDR-Karre in den Dreck gefahren haben und die jetzt den Verlust des Wagens beklagen, als gesamtdeutsche Schubleute taugen?

Offenbar fehlt manchen der Glaube an den Erfolg eines rot- grünen Projekts, sonst würde nicht schon jetzt über eine Hilfe beim Machtwechsel durch die PDS spekuliert. Doch die christliberale Regierung werden wir nur durch den Nachweis, was wir anders und besser machen werden, ablösen können – und durch einen Kanzlerkandidaten, der Kohl alt und starr aussehen läßt.

Sicher, die PDS ist nicht mehr die SED. Es hat grundlegende Veränderungen gegeben. Hierin liegt die wenig beachtete Leistung der Reformer. Dieser Prozeß ist aber längst nicht am Ende. Noch ist die Vergangenheit weder aufgearbeitet noch restlos abgeschüttelt. Niemand weiß, was in dieser Partei wirklich steckt und wohin ihr Richtungsstreit führt: Will sie ein Revival zum „Bund der Heimatvertriebenen“ oder sich zu einer neuartigen Sozialdemokratie häuten?

Verschwinden wird die PDS jedoch nicht, wie Rudolf Scharping meint. Auch wird sie sich nicht von ihren Wählern trennen lassen, wie die Strategen der CDU hoffen. Sie hat sich als Milieupartei einen Platz und eine Existenzberechtigung als ostdeutsche Regionalpartei erkämpft. Sie hat vor allem etliche Menschen dort abgeholt, wo sie der Schnellzug zur deutschen Einheit hat stehen lassen. Ich werfe ihr allerdings vor, daß sie postum eine DDR hat entstehen lassen, wie sie hätte sein können, aber nie war.

Anklang findet das gerade bei Jungwählern, die das Heutige radikal in Frage stellen, und bei Jugendlichen, die als Kinder in Pionierknoten und Blauhemd die friedliche Revolution als den Zusammenbruch einer heilen Welt erlebt haben, während die damaligen Jungwähler die Botschaften in Prag und Budapest besetzt hielten.

Die PDS greift die Grobschlächtigkeiten des Einheitsprozesses auf. Sie profitiert zudem von den Repräsentationsdefiziten des Ostens in allen anderen Parteien. Vielleicht erklärt sich daraus der Trugschluß, die PDS könnte in einer Koalition den Part der Arbeitsgruppe Ost übernehmen.

Wenn die PDS beweisen will, daß sie geistig wirklich in der Bundesrepublik angekommen ist und mitwirken will, dann sollte sie eine Regierungsbeteiligung in einem ostdeutschen Bundesland anstreben. Dieser Eignungstext wird über ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit mehr aussagen als alle hochtrabenden Absichtserklärungen. Es dürfte spannend sein zu beobachten, wie eine antikapitalistische Politik in Mecklenburg-Vorpommern aussieht.

Die PDS könnte damit Wiedergutmachung leisten und würde nicht nur die Schattenseiten der deutschen Einheit beschreiben, sondern bei den politischen Ausgrabungsarbeiten auch die selbst verursachten Schäden finden.

Wir Bündnisgrünen wären gut beraten, uns vor allem auf den Wiedereinzug in die ostdeutschen Landtage zu konzentrieren. Dann können wir auch einen Regierungsversuch von SPD und PDS wohlwollend kritisch begleiten. Das Comeback der ostdeutschen Bündnisgrünen ist für die bundespolitische Reformoption jedenfalls wichtiger als ein nutzloser Streit um die PDS. Die PDS zur Ehrlichkeit mit sich selbst zu zwingen, übersteigt ohnehin unsere Kräfte, zumal dies die PDS entlastet, die solche Angriffe schon wieder als Provokation des politischen Gegners empfindet.

André Brie hat entscheidende Fragen aufgeworfen. Die Reaktionen und Antworten darauf zeigen die innere Zerrissenheit seiner Partei. Es ist an der PDS zu erklären, ob sie willens und in der Lage ist, in der ostdeutschen Landespolitik mitzubestimmen. Diese Entwicklungsphase läßt sich nicht überspringen. Werner Schulz