Rassismus und imperialer Wahn torpedieren Lösung

■ Nach wie vor hängt der Frieden in der Kaukasusrepublik am seidenen Faden. Zu stark sind jene Kräfte, denen nichts an einer dauerhaften Lösung des Konflikts liegt

Sicherlich nicht alle Freischärler sind mit dem Kompromiß zufrieden, den die beiden Friedensunterhändler Alexander Lebed und Tschetschenengeneral Aslan Maschadow gefunden haben. Der Überfall auf russische Einheiten, die am Samstag Grosny verließen, wird nicht die letzte Provokation gewesen sein. Disziplin und straffe Führung der Rebellen in Grosny warfen indes die Frage auf, ob die Provokateure tatsächlich aus ihren Reihen stammten. Mittlerweile ist die Sache geklärt. Unversöhnliche „Renegaten“, die nicht der Armee Itschkerias angehörten, sollen den Überfall organisiert haben. Sie wurden inzwischen festgenommen. Nun besteht kein Grund für die Russen, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen.

Alexander Lebed wandte sich nach dem Überfall auf die abziehenden Soldaten sofort in einem Aufruf an die Bevölkerung, jeglichen Provokationen entgegenzutreten, um die Gewaltspirale nicht wieder in Gang zu setzen. Wer auch immer dahintersteckt, sein Ziel hat er nicht verfehlt. Das Treffen zwischen Lebed und Maschadow, das gestern früh den politischen Status der Republik erörtern wollte, kam nicht zustande. Offizielle Begründung: juristische Unklarheiten zwängen Lebed, noch einmal in Moskau Rücksprache zu halten.

Das mag zutreffen, doch ist mit Sicherheit nicht der alleinige Grund. Jelzins Sonderbeauftragter hatte gleich nach den erfolgreichen Gesprächen darauf verwiesen, daß die Ergebnisse vielen nicht zusagen würden. Immer wieder war von einem geplanten Anschlag auf den Friedensemissär die Rede.

In Moskau wurden die Friedensbemühungen sehr reserviert aufgenommen. Präsident Jelzin schaltete sich noch in die laufenden Verhandlungen ein, indem er Lebed kritisierte und kundtat, daß er mit den Resultaten nicht zufrieden sei. Premier Viktor Tschernomyrdin schickte danach ein Glückwunschtelegramm, das in seiner beredten Sprachlosigkeit eins signalisiert: Der Kreml weiß nicht ein noch aus. Einerseits muß auch er auf Frieden aus sein, nur käme es ihm nicht zupaß, sollte Alexander Lebed den Sieg davontragen. Dann gäbe es zwei Sieger, den General und die Tschetschenen, denen die Hoffnung auf staatliche Souveränität nicht ganz genommen wurde.

Lebeds Plan will diesen Punkt in fünf Jahren endgültig entscheiden. Daneben torpedieren das Militär und das Innenministerium eine friedliche Lösung. Ihre Motive sind vielschichtig. Korruption und Geld, imperialer Wahn, Haß und Rassismus sind miteinander unlösbar verquickt. Das Innenministerium hatte einem Bericht der Zeitung Moskowskije Nowosti zufolge von Anfang an nach Möglichkeiten gesucht, die Anstrengungen Lebeds schon im Keim zu ersticken. Der konnte sich an fünf Fingern abzählen, daß der Präsident nie einer Formulierung zustimmen würde, die die Souveränität der Kaukasusrepublik ins Auge faßt.

Lebed begründete seinen Rückflug mit der starken Opposition in Moskau gegen ein Friedensabkommen: „Gerade deshalb möchte ich, daß das Dokument einer genauen Überarbeitung unterzogen wird.“ Mit jeder verlorenen Minute gerät der Waffenstillstand in Gefahr. Nur durch öffentliche Diplomatie kann Lebed Jelzin unter Druck setzen, dem Abkommen beizupflichten. Sollten die Russen wieder Wort brechen, brennt der ganze Kaukasus.