Nazi-Seilschaften schützten Priebke

■ Dortmunder Staatsanwälte, die 1971 das Verfahren gegen den Kriegsverbrecher einstellten, waren selbst Nazis

Berlin (taz) – Die Schlampigkeiten, die 1971 zur Einstellung des Verfahrens gegen den Nazi-Verbrecher Erich Priebke in Deutschland führten, waren möglicherweise politisch motiviert. Etliche der Staatsanwälte, die in den sechziger und siebziger Jahren bei den „Zentralstellen des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen“ offiziell auf NS-Verbrecher-Suche waren, waren selbst ehemalige Nazis.

Braune Justiz auch auf der nächsthöheren Ebene: Die Generalstaatsanwälte in Hamm und Köln waren in jenen Jahren allesamt ehemalige Mitglieder der NSDAP, des Nationalsozialistischen Richterbundes (NSRB), der SA oder anderer Nazi-Organisationen. Das geht aus einer Antwort des damaligen nordrhein-westfälischen Justizministers Rolf Krumsiek (SPD) auf eine Große Anfrage der grünen Landtagsfraktion aus dem Jahr 1995 hervor, auf die jetzt die Westfälische Rundschau bei ihren Recherchen stieß.

In den Zentralstellen ballten sich in den Nachkriegsjahren klassische Karrieren deutscher Juristen. Etwa Staatsanwalt A., der von 1967 bis 1969 an der Dortmunder Zentralstelle arbeitete: „Er war“, heißt es in Krumsieks Antwort, „Mitglied der NSDAP seit Mai 1937, der SA von 1934 bis 1937, des NSRB seit September 1939 (als Bezirksgruppenverwalter), des NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) von 1937 bis Februar 1939 (als Rottenführer) und Rechtsreferent der Hitlerjugend von Mai bis August 1939. Mit Bescheid der Militärregierung vom 13. 3. 1948 wurde er in Kategorie V (entlastet) eingestuft.“

„Entlastet“ waren bis auf einen leitenden Staatsanwalt auch alle anderen Juristen der nordrhein-westfälischen Zentralstellen – ihre Nazi-Vergangenheit jedoch hatten sie fast alle.

„Verheerende und für mich nicht erklärbare Pannen“ bei der Verfolgung des früheren SS-Hauptsturmbannführers Erich Priebke konstatierte in der vergangenen Woche im ARD-Magazin „Panorama“ der heute leitende Staatsanwalt Hermann Weissing von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm. Die Dortmunder Staatsanwälte hätten schlicht „nichts unternommen, um Erich Priebke zu finden“, als sie 1963 bis 1971 erstmals wegen des Massakers an 335 Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen 1943 ermittelten.

Vor allem aber hätten sie auch damals schon über eine ganze Reihe Unterlagen der italienischen Justiz verfügt, die ebenfalls gegen Priebke ermittelte. Eine Auswertung dieser Unterlagen hätte schon damals für einen Haftbefehl gegen Priebke wegen Mordes gereicht – wenn man sie gelesen hätte. Das aber geschah nicht, die Unterlagen – darunter das Urteil gegen Priebkes ehemaligen Vorgesetzten Herbert Kappler – wurden nie übersetzt und wanderten ungelesen in die Akten. So wurde das Verfahren 1971 eingestellt.

Erst im vergangenen Jahr, als Priebke bereits aus Argentinien an Italien ausgeliefert war, wurde das Kappler-Urteil in Dortmund endlich übersetzt und daraufhin ein Haftbefehl ausgestellt. Dieser ist jetzt Voraussetzung, um nach Priebkes Freispruch in Rom überhaupt ein Auslieferungsbegehren stellen zu können. Ob Priebke nach Deutschland überstellt wird, ist noch nicht entschieden. Bernd Pickert