Der verzweifelte Aufstand der Leseratten

■ Bücherhallen-Schließungen in Hamburg: Neue BürgerInnen-Protestwelle rollt an

„Die Kollegen und Kolleginnen gehen alle auf dem Zahnfleisch“, weiß die Betriebsratsvorsitzende der Hamburger Bücherhallen (HÖB), Karin Werner, nichts Ermutigendes über die Stimmung unter den HüterInnen städtischen Leseguts zu sagen. „Das hohe persönliche Engagement, mit dem hier gearbeitet wurde, geht den Bach runter.“ Welche Köpfe der etwa 600 MitarbeiterInnen – fast 90 Prozent sind Frauen – rollen werden, weiß noch niemand so genau. Mindestens 30 Stellen müssen vermutlich eingespart, viele Beschäftigte umgeschichtet werden; im Gespräch sind derzeit die Schließung von mindestens 20 Standorten und zahlreiche Zusammenlegungen.

„Fünf Millionen nicht zu wuppen“

„Unter fachlichen Kriterien dürfte eigentlich keine einzige Bücherhalle geschlossen werden“, so Werner, doch von dem Wunschtraum der Erhaltung des Status Quo hat sich selbst der Betriebsrat schon verabschiedet. „Wir wissen, daß es ohne Schließungen nicht mehr geht.“ Verhandelt wird mit der HÖB-Betriebsleitung über soziale Absicherungen für die betroffenen KollegInnen und darüber, daß die drohende Unterversorgung bestimmter Stadtteile halbwegs kompensiert wird. Für Proteste reicht die Kraft nicht mehr aus. „Die Mitarbeiter sagen: Wir können nicht mehr“, sagt Werner. Und hofft auf Zoff durch NutzerInnen der Bücherhallen.

Der steht Rathaus und Kulturbehörde tatsächlich ins Haus. Der „Hamburger Bücherhallen-Ratschlag“ – ein Zusammenschluß verschiedener Initiativen – will den Startschuß zur Abschaffung der dezentralen Bildungsversorgung in Hamburg nicht lautlos hinnehmen. Zwar zeigten sich am vergangenen Wochenende die SPD-Delegierten von den Protesten vor den Türen des Parteitags-Tagungshauses mäßig beeindruckt. Doch das soll erst der Auftakt sein. Zahlreiche Aktionen, Protestschreiben und Informationsveranstaltungen, wie heute in Groß-Borstel, sind geplant. Denn für viele HamburgerInnen ist klar: Die Politik setzt die falschen Prioritäten. Den Bücherhallen werden überproportional große Sparlasten zugemutet.

„Die neue Leitung der Bücherhallen hat ihre Hausaufgaben gemacht“, lobt gar die grüne Kulturpolitikerin Jutta Biallas. Doch wer „zehn Jahre Mißmanagement wegen Sozi-Filz“ ausbaden muß, kann nur noch Mängel verwalten. „Fünf Millionen in zwei Jahren – das kann die HÖB gar nicht wuppen“, meint auch CDUlerin Rena Vahlefeld. Doch wie und ob die Sparmaßnahmen noch verhindert werden können, ist zweifelhaft.

Sozi-Filz und Mißmanagement

Die neue Leiterin Hella Schwemer hat ein „Strukturkonzept HÖB 2000-X“ vorgelegt, über den in zwei Wochen der Verwaltungsrat befinden soll. Das neue Konzept sieht vor, weniger, dafür aber besser ausgestattete und leistungsfähigere Bücherhallen zu schaffen. Schwemer möchte zumindest im Rahmen der finanziellen Radikalkur „Planungssicherheit“ für die nächsten Jahre. „Die Ausgaben pro Kopf sind die niedrigsten in der ganzen Bundesrepublik“, rechnet sie vor. München beispielsweise gibt für weniger Bibliotheken 12 Millionen Mark mehr aus als Hamburg, nämlich 60 Millionen. An der Elbe dagegen wird mit 48 Millionen geknapst. „Wir sitzen alleine im Boot und müssen alleine rudern“, beschreibt Schwemer die Situation der HÖB-Betriebsleitung.

Die chaotisch gewachsene Struktur der Bücherhallen sinnvoll umzuorganisieren, manches zu schließen und anderes zusammenzulegen, ist eine kaum zu lösende Aufgabe. In Steilshoop beispielsweise, „einem nicht sehr gut angenommenen Standort“ (Schwemer), existiert ein Mietvertrag für zehn Jahre. Auch die Schließung anderer Standorte wird nicht nur davon abhängen, wie die leserliche Versorgungslage ist, sondern wo man vertragliche Möglichkeiten zur Schließung hat. Ob dabei öffentlich zugängliche Bücher, gerade in armen Stadtteilen, zum Luxusgut werden, oder der größte anzunehmende Kahlschlag verhindert werden kann, wird auch von den Protesten abhängen. Silke Mertins

Veranstaltungen:

Heute in Groß-Borstel, „Unsere Bücherhalle muß bleiben“, 19.30 Uhr, Stavenhagenhaus, Frustbergstraße 4; „Leseratten in Not“, 4.9. um 16.30 Uhr auf dem Rathausmarkt. Weitere Informationen: Bücherhallen-Ratschlag, Tel.: 48 15 48 oder 410 2001