„Wir wollen an den Pfründen ansetzen“

■ Die finanzpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Fraktion, Michaele Schreyer, fordert Kürzungen beim Bau – nicht im Sozialen. Die heilige Kuh Investitionen schlachten

Morgen will Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD) dem Abgeordnetenhaus einen neuen Finanzbericht geben. Michaele Schreyer (Bündnis 90/Die Grünen) war der Senatorin mit alarmierenden Zahlen zuvorgekommen.

taz: 200 Millionen, 500 Millionen oder 2 Milliarden – wieviel Mindereinnahmen bei der Steuer sind für 1996 zu erwarten?

Michaele Schreyer: Wenn ich die jüngste Entwicklung mit den erwarteten Steuereinnahmen des Nachtragshaushalts 96 vergleiche, fließen zwei Milliarden Mark weniger an Steuern in die Kasse.

Was bedeutet das?

Es muß in diesem Jahr auch bei den bisherigen Tabubereichen der Koalition, etwa den Olympiahallen, eingespart werden. Und den Steuerirrsinnsplänen aus Bonn mit der Abschaffung der Vermögensteuer ist eine strikte Absage zu erteilen. Außerdem ist die Finanzsituation in Berlin nicht – wie die CDU glauben machen will – eine vorübergehende Panne, sondern ein strukturelles Problem.

Was ist die grüne Alternative zum Kürzen?

Im Moment hat Berlin einen Haushalt von 42 Milliarden Mark. Das ist ein Batzen Geld. Da stellt sich die Frage, ob der nach den Notwendigkeiten verteilt wird oder nach traditionellen Pfründen. Ich bin deshalb gespannt, was die Koalition als Kernaufgaben des Staates definiert. Für mich gehört der soziale Ausgleich in der Stadt zu diesen Aufgaben. Deshalb setzen wir bei den Pfründen an.

Zum Beispiel?

Berlin hat einige Ausstattungsvorsprünge, aber die Finanzsenatorin sieht die stets im Sozialbereich. Da erweist sie sich als CDU- Politikerin. Ich wähle andere Beispiele: Berlin hat die höchste Wohnungseigentumsförderung von allen Bundesländern, das sind im Schnitt über 300.000 Mark je Eigenheim. Auch die Baukosten sind hier noch viel höher als anderswo. Da könnte man durch Kontrolle Haushaltskonsolidierung betreiben und zugleich auf soziale Einschnitte verzichten. Und wenn der öffentliche Dienst finanzierbar bleiben soll, müssen wir die Arbeit umverteilen – statt wie der Senat Tausende von Stellen und damit Arbeitsplätzen abzubauen. Ich spreche mich aber dagegen aus, von vornherein eine Wertentscheidung nach der Art zu treffen: Wir müssen die Investitionsausgaben hochschrauben und die Personalausgaben senken.

Wollen die Grünen den Verfassungsgrundsatz kippen, daß Kredite nur in Höhe der Investitionen aufgenommen werden dürfen?

Nein, weil dies wenigstens eine Verschuldungsbremse ist. Aber wir wollen die heilige Kuh Investitionen schlachten. Die Diskussion darüber hat stets folgendes im Hinterkopf: Die Investition induziert Wachstum, das Wachstum führt zu höheren Steuereinnahmen, und von denen kann man die Zinsen bezahlen. Diese Rechnung stimmt nicht: Die 800 Millionen für die Olympiasporthallen haben keine Steuereinnahmen zur Folge, sondern wachsende Ausgaben für den Betrieb.

Sind sich die Grünen dabei einig, die Neuverschuldung zu deckeln?

Berlins Verschuldung bleibt auch nach den jetzigen Plänen auf Rekordniveau. Es gibt bei uns Leute, die stellen sich vor, wenn die Neuverschuldung über die eh geplanten 20 Milliarden Mark wachsen würde, gäbe es mehr Zuschüsse für Frauenprojekte – das ist für mich Traumtänzerei. Landowsky plädiert nicht für eine höhere Nettoneuverschuldung, um Frauenprojekte zu fördern. Er will die Polizei besser ausstatten oder die Eigenheimförderung ausbauen. Interview: Christian Füller