Der Barbier von Bebra (20)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kommissarin Güzel ist nach Hamburg geflogen, um den mutmaßlichen Bartmörder zu verhören. Der befindet sich auf der Davidswache.

„Endlich Publikum!“ schnob er, trank einen Kanister Olivenöl auf ex und ötterte: „Getrennt von den Tönen, von Feinden verlacht, und dennoch von eurer Liebe bewacht, hab ich mich im Kerker geschunden...“

Die Kommissarin trat einen Schritt zurück. „Dieser Schmuckschmock soll der Täter sein?“

„Nein“, sagte der Beamte, „das ist nur der Herr Wecker. Den sehen wir hier öfter. Der hält sich für den Grafen von Monte Christo und gräbt sich hier regelmäßig mit dem Kokslöffel raus.“

In einer Ecke der Zelle raschelte es im Stroh. „Der da hinten ist Ihr Mann!“ Der Beamte zeigte auf ein schmächtiges Männchen, das sich soeben erhob, Spreu von seinem goldenen Schlips wischte und eine von der Mitte seiner Glatze blauviolett aufragende Beule betastete.

„Dann wollen wir mal“, sagte die Kommissarin. Zu dritt traten sie aus der Zelle und überließen das knödelnde Ölfaß sich selbst.

„Ich bin der berühmte Bartmörder!“ zergelte der verbeulte Zwerg. „Gratuliere! Wie haben Sie mich eigentlich geschnappt?“

Gisela Güzel musterte ihn. Die Glatze, das gnubbelige Gesicht, die etwas zu groß geratene Designerbrille, das Nöckeln, die gewichsten Schaftstiefel – das Kerlchen sah nicht aus wie Jack the Ripper, sondern eher wie das, was über Nacht im Garten wächst.

Bei der Vernehmung verstärkten sich die Zweifel. Aus eigener Kraft, ohne Helfershelfer und Haushaltsleiter, hätte dieser Herrenknirps niemanden in ein Sulfrinfaß bugsieren können. Außerdem verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche. Wolfgang Thierse zum Beispiel glaubte er in Rostock klarinettiert zu haben, und unablässig jieperte er nach Anerkennung: „Ich habe unserem lieben Deutschland einen Dienst erwiesen! Eines Tages werden die Menschen mich begreifen!“

„Der Tag wird kommen“, sagte Gisela Güzel. „Abführen.“

Als sie ging, schrie ihr der Gefangene nach: „Hiergeblieben! Ich packe aus! Ich rede Tacheles! Ich bin der geheimnisumwitterte Bartmörder! So bleiben Sie doch! Ich heiße Gross, und das aus gutem Grund!“

*

Auch oben auf der Wache kam es gerade zum Äußersten. Wie ein Grizzly baute sich Harry Rowohlt vor den verängstigt zurückweichenden Hundertschaften auf, und sein Bärenbaß brachte die Polizistenhosen zum Flattern: „Zum letzten Mal! Ich habe nichts mit dem Rowohlt Verlag zu tun!“ Er hielt kurz inne. „Und eure Gedichte könnt ihr euch in die Haare schmieren! So! Und jetzt will ich die Belohnung verjubeln. Her damit!“ Sein Blick fiel auf Gisela Güzel. „Und du“, fügte er besänftigt hinzu, „sollst bitte mitkommen.“

Freundlich hakte sie den fremden, grundsympathischen Mann unter. „Belohnung klingt vernünftig. Gehen wir was essen.“

Aber statt auf die Straße traten sie in einen Blitzlichtblizzard. Hektisch meckerten Reporterstimmen durcheinander: „Haben Sie den Bartmörder? Hat er gestanden? Name! Adresse! Hat er irgendwas mit dem Harry Rowohlt Verlag zu tun?“

„Kein Kommentar.“ Sicher geleitete Gisela Güzel ihren halblaut vor sich hin grummelnden Begleiter duch die Menge und wonk ein Taxi.

Schnupdiwup, weg waren sie.

*

„Das ist mein Lieblingschinese hier“, sagte Gisela Güzel. Sie saßen im „Tian an Men“ an der Reeperbahn, hatten Peking- Ente verputzt und fühlten sich wirsch und flätig. „Schon komisch, nicht mehr in Hamburg zu sein. Letztes Jahr bin ich strafversetzt worden, ausgerechnet nach Ostberlin. Am Anfang mußte ich in der Humboldt-Uni Streife gehen. Es war demütigend...“

Fortsetzung folgt

Vorabdruck; erscheint bei Edition Nautilus