Lieben ohne Neid auf Schwänze

Keine Praxis ohne Theorie: Teresa de Lauretis hat eine psychoanalytische Theorie des lesbischen Begehrens geschrieben. Eine glückliche Entwicklung zur Lesbe kann sie sich leider genausowenig vorstellen wie Übervater Freud  ■ Von Stefanie Castendyk

Zwar wurde Homosexualität aus dem internationalen Register der Krankheiten längst gestrichen, weil Untersuchungen gezeigt haben, daß Schwule wie Lesben ebenso arbeits-, beziehungs- und lustfähig sind wie die Durchschnittshetera. Aber was nicht sein kann, das darf nicht sein: Weil keiner weiß, wie all die präödipalen und ödipalen Entwicklungsschritte aussehen könnten, an deren Ende eine gesunde Homosexualität steht, wird messerscharf geschlossen, daß es eine gesunde Homosexualität nicht gibt.

Keine Praxis ohne Theorie! Da die Psychoanalyse gerade im eigentlichen Arbeitsfeld der Autorin, nämlich in der Literatur- und Filmtheorie, so ungeheuer einflußreich ist, liegt der Versuch nahe, dem theoretischen Mißstand der Kliniker abzuhelfen. Die Frage lautet: Wie läßt sich die Entwicklung einer „gesunden“, das heißt liebes-, lust- und arbeitsfähigen Lesbe innerhalb des psychoanalytischen Konzepts rekonstruieren?

Teresa de Lauretis beschränkt sich nicht darauf, die Pathologisierung von Homosexuellen ad acta zu legen. Dabei erwähnt sie übrigens mit keinem Wort, daß Homosexuelle nicht zu AnalytikerInnen ausgebildet werden dürfen. Sie will gleich eine Theorie zur Sexualentwicklung schreiben, die ganz ohne männliches Moment auskommt. Daß sich dieser radikal separatistische Ansatz sogar politisch inzwischen überlebt hat, stört de Lauretis wenig. Aber dafür zerstört es ihre Theorie. Quod erat demonstrandum.

Das zentrale Problem jeder psychoanalytischen Theorie zur weiblichen Sexualentwicklung ist der sogenannte Kastrationskomplex, das heißt jene Übergangsphase, in der ein zukünftig heterosexuell lebendes Mädchen nach der klassischen Theorie drei Aufgaben zu lösen hat: Es muß seinen eigenen Penismangel akzeptieren, sein aktives Begehren durch ein passives ersetzen und statt der Mutter den Vater als Objekt besetzen.

Schon dieses Szenario stößt nicht zu Unrecht auf feministischen Widerstand, denn Freud konnte sich den sogenannten „Passivitätsschub“ und den „Objektwechsel“ des Mädchens nur damit erklären, daß die Kleine vom „Penisneid“ getrieben sei. Für den Begründer der Psychoanalyse war die organische „Minderwertigkeit“ der zentrale Anstoß für die weibliche Sexualentwicklung, und an dieser Auffassung hat sich – bis auf politisch korrekte Lippenbekenntnisse – bis heute wenig geändert. Keiner kann sich erklären, wie sonst die Hinwendung zum Vater motiviert sein könnte, jedenfalls nicht, wenn man nicht einfach behaupten will, Heterosexualität sei eben angeboren. Aber wer will schon, gerade in Deutschland, auf die Genetik zurückgreifen?

Nun könnte man natürlich sagen: Wunderbar, wir wissen zwar nicht, wie neunzig Prozent der Frauen heterosexuell werden können, aber zumindest die homosexuelle Objektwahl ist dann doch geklärt. Die Lesbe in spe tut das einzig Vernünftige, sie verweigert sich dem Primat des Phallus und hält an ihrem ersten Objekt fest, nämlich an der Mutter.

Aber so einfach ist die Sache leider nicht, denn die Realität auf der Couch beweist jeden Tag, daß Patienten, die bewußt oder unbewußt am präödipalen Objekt festhalten, zu massiven psychischen Störungen neigen: symbiotischen Tendenzen, Beziehungs- und Arbeitsstörungen.

Offensichtlich braucht es die Loslösung vom mütterlichen Objekt, die Einbeziehung des ödipalen Dritten (Vater) und vor allem die Anerkennung des eigenen Mangels, um wirklich das Begehren auf eine andere Person richten zu können.

De Lauretis konzidiert nun, daß diese strukturierende Phase auch von einer Lesbe durchlaufen werden muß. Sehr abstrakt formuliert heißt das, daß auch die Lesbe in spe „kastriert“ ist, insofern sie einen Mangel wahrnimmt, der jedes Begehren eines anderen, ergänzenden Objekts überhaupt erst möglich macht.

Aber um den Penismangel kann es nicht gehen, denn es geht ihr ja darum, den Primat des Phallus abzuschaffen. Also versucht die Autorin, an lesbischen Filmen und Texten nachzuweisen, daß der strukturierende Mangel zumindest bei Lesben ein Bruch im eigenen Körperbild sei:

Das Mädchen nimmt sich als unvollkommen, als unweiblich oder gar als versehrt wahr und begehrt in der späteren Geliebten eben die narzißtische Vollkommenheit, die es an sich selbst so schmerzlich vermißt. Eine Vollkommenheit, die auf den Penis als Hetera-Fetisch nicht mehr angewiesen ist und statt dessen von irgendeinem anderen Körperteil, einer Geste oder Inszenierung repräsentiert wird. So hat man, ganz nebenbei, auch die kessen Väter erklärt. Denn Schlips und Anzug der Lesbe haben nichts mehr mit dem Penisneid zu tun, sondern zitieren nur die patriarchale Ordnung, um der Geliebten „narzißtische Vollkommenheit“ zu suggerieren.

Das Zitat eines männlichen Ideals ist nicht so schlimm wie das männliche Ideal selbst. Denn eine bloß zitierte Inszenierung ist immer wenigstens ein bißchen ironisch gebrochen. So weit, so gut. Aber selbst, wenn man bereit ist, diese Rettung in eigener Sache nachzuvollziehen, bleibt die Lösung des theoretischen Problems leider unvollständig. Denn Teresa de Lauretis hat zwar nun einen ihr passend erscheinenden Mangel entdeckt, aber über der Freude, endlich den Primat des Phallus beseitigt zu haben, vergißt sie völlig, wie dann der Vater ins Spiel gebracht werden kann. Schließlich ist dessen Funktion, die Mutter- Kind-Symbiose in ein ödipales Dreieck zu verwandeln, ebenso wichtig wie die „strukturelle Kastration“.

Und außerdem sollte stutzig machen, daß sich de Lauretis mit ihrer Theorie zumindest in einem Punkt nicht von Freud unterscheidet: Vom Penis ist zwar nach wie vor viel die Rede, aber die Klitoris oder gar die Vagina kommt nicht vor. Statt dessen soll das „perverse Begehren“ ausschließlich narzißtisch motiviert sein. Diese Denkfigur weicht von Freud weniger ab, als die Autorin hofft.

Und die Sache kommt noch schlimmer, wenn man de Lauretis' Beispielen Glauben schenkt. Das gebrochene Körperbild der Lesbe kommt nämlich nicht von ungefähr. In Theaterstücken und Filmen mit lesbischer Thematik findet sie Mädchen, deren knabenhafte Körperlichkeit von ihren Müttern abgelehnt wird, oder gar Mädchen, die mißbraucht und vergewaltigt wurden. Wenn solche Erfahrungen den strukturierenden Mangel begründen sollen, der ein lesbisches Begehren einleitet, möchte man doch lieber Hetera sein. Von einer ungestörten oder gar glücklichen Entwicklung zur Lesbe kann jedenfalls nicht die Rede sein. An die Stelle des obskuren Penisneides hat de Lauretis eine narzißtische Kränkung gesetzt, die viel furchtbarer – und sicher auch um einiges pathogener – ist.

Ganz sicher gibt es einen weniger versehrten, „normaleren“ Weg zur lesbischen Liebe. Aber seine theoretische Rekonstruktion steht leider noch aus!

Teresa de Lauretis: „Die andere Szene. Psychoanalyse und lesbische Sexualität“. Berlin Verlag 1996, 312 Seiten, 44 DM