Der Traum vom kleinen Coup Von Carola Rönneburg

Nachbar Horst stahl wie ein Rabe. Wer mit ihm einkaufen ging, lebte in der beständigen Furcht, in der nächsten Minute vom Kaufhausdetektiv gestellt zu werden. Die Vorstellung, daß Horst erwischt werden könnte, war dabei weniger gräßlich als der Gedanke daran, wofür. Wenn wir nämlich nach der samstäglichen Tour unsere Tüteninhalte in meiner Küche sortierten, präsentierte Horst freudestrahlend seine Beute: eine Nagelbürste, Neuwert eine Mark; Plastikohrclips, drei verschiedene Farben, ein Topflappen aus dem Sonderangebot. Horst vergriff sich grundsätzlich preisbewußt und an unnützem Kram. In der Lebensmittelabteilung klaute er die Mortadella und bezahlte den Lachs.

Ich habe bis heute nur ein Pfund Butter mitgehen lassen – weil ich vergessen hatte, sie aufs Förderband zu legen. Wahrscheinlich könnte ich eine längere Liste an Diebesgut vorlegen, wenn ich mich als Teenager altersgemäß verhalten und wenigstens meine Lippenstifte zum Nulltarif erstanden hätte. Aber ich war nie an den organisierten Raubzügen durch die Kosmetikregale beteiligt.

Inzwischen zeigt sich, wie falsch das war. Denn kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht irgendeine kriminelle Handlung plane. Ich meine natürlich eine Tat, bei der niemand zu Schaden kommt – Verbrechen, die meine Mitmenschen dazu bewegen, nach der Wiedereinführung öffentlicher Hinrichtungen zu schreien, liegen mir fern. Ich möchte auch nicht erleben, wie man wegen mir jede Diskussion über Strafrechtsreform vergißt und, wie zur Zeit, zwanzig Jahre thailändischen Knast für zu lasch befindet. Ich träume vom kleinen Coup.

Wäre es nicht möglich, das neue und handliche Fahrkartenausgabegerät der Bahn AG in Heimarbeit nachzubauen? Sich im Großraumwagen den Fahrschein selbst auszustellen, einfache Fahrt? Der kleine Coup könnte sich aber auch um die Entfernung einiger Paare sauteurer Seidenstrümpfe aus einem gewissen Modehaus drehen. Mittels geschickt angebrachtem Teppichklebeband unter einem Paar großsohliger Moonboots könnte ich so ganz unauffällig flache Strumpfpäckchen in die Freiheit tragen. Das geht bestimmt.

Doch obwohl der Schuhmode auch diesen Sommer etwas Orthopädisches anhaftet, sind Winterstiefel im Moment zu auffällig. Deshalb beschäftigt sich mein Superhirn mit einem Baumarkt. Im Süden des Landes testen Baumarktleiter just eine hochmoderne Ladendiebstahlsperre. Jeder Kunde wird beim Eintritt in das Geschäft gewogen. Wer dann nach der Bezahlung von Dübeln und Schrauben schwerer ist als zuvor, muß auch für den gemopsten Hammer aufkommen. Wie läßt sich die Waage austricksen? Ich denke, es gilt, den Baumarkt mit einer guten Haushaltswaage unter der Jacke aufzusuchen und das genaue Gewicht des Schwingschleifers zu ermitteln. Beim nächsten Besuch trage ich dann eine entsprechend schwere Tüte Reis im Ärmel. Während die Körner leise in ein Körbchen mit Schleifpapier rieseln, nehme ich den Austausch vor. An der Kasse halte ich mein Gewicht. Und beim nächsten Mal muß ich schon keinen Reis mehr nehmen, sondern bringe mein eigenes Sägemehl mit. Hach – ein genialer Plan. Aber vorher zum Reis. Mit Hilfe von kleinen Schläuchen zapfe ich den Reis...