Das größte Haushaltsloch der Republik

Berlin hat wieder mal neue Milliardenlöcher entdeckt. Die Kürzungen bei Polizei, Universitäten und Schulen reichen noch nicht. Der Stromkonzern Bewag soll verkauft werden  ■ Aus Berlin Christian Füller

Konkursverschleppung wollten sich Berlins Regierende nicht nachsagen lassen. Nachdem die Spekulationen über die Ausmaße des Haushaltsloches seit Wochen ins Kraut schossen, hat der Senat gestern seinen Finanzrapport überraschend vorgezogen. Ergebnis: Die Hauptstadt steckt trotz des erst im März beschlossenen Nachtragshaushaltes tief in den roten Zahlen.

Obwohl Länder an sich nicht pleite gehen können – Berlin steht kurz davor. Finanzsenatorin Fugmann-Hessing (SPD) geht in ihrer aktuellen Prognose davon aus, daß am Ende des Jahres 2,4 Milliarden Mark im Haushalt fehlen. Hinzu kommen könnte ein Defizit von weiteren 2,7 Milliarden Mark, wenn es nicht gelingt, den landeseigenen Energieversorger, die Bewag, zu verkaufen. Damit stünde das Land wieder am selben Punkt wie vor einem halben Jahr. Da hatten 5,3 Milliarden Mark im Säckel des Stadtstaates gefehlt.

Erst im Frühjahr hatte die Berliner Große Koalition aus CDU und SPD einen beispiellosen Streichhaushalt verabschiedet. In einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 1996 strich sie 5,3 Milliarden Mark aus dem 43-Milliarden-Haushalt. Vor allem die Universitäten mußten dabei bluten, Schulen und Kindertagesstätten. Die Theater und drei Opernhäuser kamen vergleichsweise glimpflich davon. Sicherstes Zeichen für die Finanzkrise aber war, daß nicht einmal die heißgeliebte Berliner Polizei vom Kürzen verschont blieb: 2.000 Ordnungshüter versprach der Innensenator von seiner Gehaltsliste zu streichen.

Zusätzlich zu dem Nachtrag fror die schwarz-rote Koalition den Etat durch ein Haushaltsstrukturgesetz vorsorglich bis 1999 ein – und durfte dann gerade ein halbes Jährchen stolz sein auf den geleisteten Kraftakt.

Die Berliner Haushaltskrise ist die ärgste in der Republik. Der Stadtstaat hat seit der Wende einen Verlust an 250.000 industriellen Arbeitsplätzen hinnehmen müssen. Der damit verbundene Steuerausfall ist schwer zu verkraften. Die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 16 Prozent, das Wirtschaftswachstum ist nirgendwo in deutschen Landen niedriger als an der Spree.

Hinzu kommt, daß die Landeskasse, die in Kalte-Kriegs-Zeiten einen 17 Milliarden-Zuschuß aus Bonn erhalten hatte, abrupt von dieser Geldquelle abgeschnitten worden war. Statt der Berlinhilfe kam nach der Wiedervereinigung der Länderfinanzausgleich, der aber bringt jährlich nur acht Milliarden ein. Der Nachwende-Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) hat es eine Legislaturperiode lang vesäumt, diesen Verlust auszugleichen. Die Ausgaben wuchsen weiter und mit ihm die Verschuldung auf mittlerweile 20 Milliarden Mark. Selbst wenn Berlins Konsolidierungskurs gelingt, geht 1999 jede dritte Steuermark für Zinsen drauf.

So machte Fugmann-Heesing, als sie ihren Job in der Hauptstadt antrat, mit einem Kassensturz Furore. Sie fand heraus, daß Berlins Ausgaben notorisch über den Einnahmen liegen. Fugmann-Heesings Vorgänger Pieroth mußte nicht etwa zurücktreten. Er hintertreibt derzeit als Wirtschaftsenator die Anhebung der Gewerbesteuer.

Innerhalb der Regierungskoalition von CDU und SPD haben sich beim Kürzen verquere Fronten gebildet. Die SPD, nach dem vernichtenden 23-Prozent-Wahlergebnis im Oktober 95 auf einem asketischen Kurs der Selbstreinigung, will als Partei der Etatsanierer in die Geschichte eingehen. „Klarheit und Wahrheit“ ist das neue sozialdemokratische Motto – die Sozis halten den subventionsverwöhnten Berlinern permanent rote Zahlen des Haushaltes vor Augen.

Hingegen hat die CDU an der Spree ihr soziales Herz entdeckt. Den ganzen Sommer über mäkelte die ansonsten hartgesottene Fraktionsspitze der Christdemokraten, ein weiteres Streichkonzert für den 97er Haushalt werde sie nicht mitspielen – aus sozialen Gründen. Eine pikante Doppelrolle nimmt dabei der starke Mann der Berliner CDU, Rüdiger Landowsky, ein. Als Fraktionschef fordert er, durch eine stärkere Verschuldung den Konsolidierungskurs abzufedern – und als Vorstandsvorsitzender der Berliner Bankgesellschaft ist er gerne bereit, die dafür erforderlichen Kredite zu geben.

Den Etat für das Jahr 1997 will die Große Koalition erst im Februar verabschieden. Der Grund: Die Stadt solle zur Ruhe kommen. Nach der Notoperation im Frühjahr, so betont die Finanzsenatorin, sei jetzt eine Grundsatzdebatte über Kürzungen zu führen. Aus den eigens zu diesem Zweck eingerichteten Arbeitsgruppen, in der nur Regierungsmitglieder sitzen, ist bisher aber noch nicht viel zu erfahren.