Fall ungeklärt, Urteil gesprochen

■ Ein Dokumentarfilm über den Journalisten Mumia Abu-Jamal, der schon seit 14 Jahren in der Todeszelle sitzt

Jetzt kommt bereits der dritte Film über die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten ins diesjährige Kinoprogramm: „Hinter Mauern – Mumia Abu-Jamal und der lange Kampf um die Freiheit“, ein Dokumentarfilm von Jule Buerjes und Heike Kleffner. Dieser Film hat mit „Dead Man Walking“ und „Paradise Lost: The Child Murders at Robin Hood Hills“ cinematographisch nicht viel gemein, aber das haben die deutschen Koalitionspartner im Kampf um die Freilassung des legendären schwarzen Journalisten und Mitglieds der Black Panther auch nicht.

Hierzulande scheint man sich einig, von Peter Handke über Klaus Kinkel und die IG Medien bis hin zu den antiimperialistischen Autonomen: Abu-Jamals Verurteilung zum Tode ist ein Skandal, ein klarer Fall rassistischer und manipulativer Rechtsprechung. Doch so böse es klingt: Diese Solidarität kostet nichts. In den USA dagegen sieht die Sache schon anders aus.

Heike Kleffner und Jule Buerjes rollen in ihrem Film den Fall biographisch-historisch auf. Der rote Faden ist ein Interview mit Abu-Jamal, der heute im Todestrakt eines riesigen Gefängnisses in Westpennsylvania inhaftiert ist. Als Jugendlicher kam der Sohn einer „ganz normalen Familie“ aus Philadelphia zu einer Ortsgruppe der Black Panther, wo seine Karriere als Radioreporter begann: „Ich war Soldat, meine Waffe war eine Schreibmaschine.“ In den siebziger Jahren arbeitete er eng mit der radikalen schwarzen „Move“-Bewegung zusammen. Die Filmemacherinnen bebildern diese Zeit mit schwarz-weißem Archivmaterial und erläutern Zusammenhänge mit einem angenehm zurückhaltenden Kommentar.

Jamals engagierte journalistische Berichterstattung machte ihn immer bekannter, er wurde zum Vorsitzenden der schwarzen Journalistenvereinigung gewählt. Mit welcher Brillanz Jamal US-amerikanische Verhältnisse selbst aus der Todeszelle heraus analysiert, wird besonders in der Sequenz über die ökonomische Bedeutung der Gefängnisse in den USA nachvollziehbar: Die „schwarzen Gemeinden“ hinter Gittern seien – nicht nur in Pennsylvania – eine neue Art der Wirtschaftsförderung für kriselnde Industrieregionen.

Jamal wurde 1981 wegen seiner guten Verbindungen zu „Move“ aus dem Journalistenverband ausgeschlossen und damit gezwungen, sein Geld fortan als Taxifahrer zu verdienen. Im Dezember desselben Jahres wurden er und sein Bruder bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle angehalten. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Polizist Daniel Faulkner erschossen wurde. Obwohl die genauen Umstände der Tat ungeklärt sind, verurteilte ein Geschworenengericht Jamal 1982 zum Tode. Seitdem wurden etliche Exekutionstermine angesetzt und – nicht zuletzt wegen des internationalen Aufsehens um das Verfahren – immer wieder verschoben. Das Urteil selbst aber ist längst nicht aufgehoben.

Kleffner und Buerjes erzählen die Geschichte Jamals vor und nach der Verhaftung als eine Fallstudie weißer Repression gegenüber der schwarzen Bürgerrechtsbewegung von den späten sechziger Jahren bis heute. Dabei gelingt ihnen nicht nur ein historischer Überblick: Die Interviews mit Familienangehörigen, Freunden, Kollegen, vor allem aber mit Jamal selbst verdeutlichen sehr genau die vielseitigen Funktionsweisen des Rassismus in den US-Medien. Das ist, da Jamal ja vor allem als schwarzer Journalist äußerst unbequem war und ist, zweifellos der wichtigste Aspekt dieser Geschichte, die der Film glücklicherweise nicht in fernsehgerechter Ausgewogenheit erzählt. Daß dieser Film trotzdem entstehen konnte, ist der Kölner Kaos-Filmproduktion zu verdanken, nachdem die deutschen Fernsehsender ihr Interesse an der Ausstrahlung des Films reichlich obszön von einem zeitlich passenden Hinrichtungsdatum abhängig machten.

Leider kommt, wohl im Eifer des Gefechts, in „Hinter diesen Mauern“ die Darstellung der Gegenseite zu kurz. Zuständiger Richter im Verfahren ist der greise, weiße Albert Sabo, der zwar auch interviewt wird, aber im Film eigentlich nur die Rolle des durchgedrehten „Bösewichts“ spielt. Jamals Anwalt, Len Weinglass, erläutert Sabos ungeheuerliche Verfehlungen, die Unterstellungen, die mangelnden Gutachten, die nicht geladenen Zeugen.

Das alles dokumentiert zwar eindrucksvoll die Unrechtmäßigkeit des Verfahrens, läßt es aber wie einen spektakulären Einzelfall erscheinen. Daß aber die Verhängung von Todesstrafen für Richterkarrieren in den USA derzeit sehr förderlich ist und häufig zum Sprungbrett in die konservative Politik genutzt wird, das deutet der Film nur sehr indirekt an.

Im Fall Jamal mag dieser Aspekt wegen des Alters von Sabo zwar keine zentrale Rolle spielen, ist aber zum Verständnis der gesellschaftlichen Dynamik auf der Gegenseite überaus wichtig. Die Todesstrafe wird in den USA von einer Lobby propagiert, die mächtiger und einflußreicher ist als jedes intellektuelle Engagement gegen Giftspritzen und elektrische Stühle – egal, wie mainstream- tauglich („Dead Man Walking“!) diese Plädoyers in die Kinos kommen. Der Versuch, darzustellen, welche Kreise hinter Richter Sabo stehen und warum sie das von ihm verhängte Todesurteil allen Solidaritätskampagnen zum Trotz immer noch für politisch opportun und richtig halten, hätte diesen wichtigen Dokumentarfilm vielleicht noch besser und „schärfer“ gemacht. Dorothee Wenner

Ab heute tägl. im fsk, 19.30 Uhr