Cool Sites of the Street

Der Sportladen hat ein riesiges Plakat rausgehängt: „Wir führen Nasenpflaster!“ Clevere Idee, vermutlich kriegen alle, die mit ihren Jogging-Klamotten und den häßlichen Turnschuhen rumlaufen, ab und zu mal eins drauf. Das Pflaster tröstet, fördert den Umsatz, und alles ist gut. Die Zoohandlung schräg gegenüber verkauft auch Disketten und wirbt für ihr neues Sonderangebot, ein „Hamsterset komplett mit Hamster“, und im Felsenkeller gibt es Köstritzer vom Faß. Beim Türken bekomme ich neuerdings nur noch BSE-freies Chicken-Kebab, und der berühmte Dichter, der mir dort manchmal begegnet, wird auch immer fetter. In der Wurstschlange bei Bolle verwickelt mich jemand in ein Hausfrauengespräch wg. Schweinebraten. Ein paar Häuser weiter, in der Bäckerei, weiß die Verkäuferin selbst, daß die Berliner Bäcker die schlechtesten der Welt sind („Ostschrippen sind besser“). Und nebenan wohnt eine, die heimlich auf den Strich geht, wenn ihr Alter nicht da ist. Nein, schön ist sie wirklich nicht, die Gegend, in der ich wohne. Aber sie lebt, und zwar heftig.

Ich merke das immer dann, wenn ich zwischendurch mal Rechner und Modem ausgeschaltet lasse, um einzukaufen, oder mich selbst überrede, nach unten

zu gehen, weil schönes Wetter ist und ich sonst von alledem nichts mehr mitbekomme. Vom Internet hat hier noch niemand was gehört, außer der Zeitungshändlerin vielleicht, die nicht weiß, wo sie all das neue Zeug unterbringen soll. Der einzige Computerhändler weit und breit kann mir keinen FIFO-Chip verkaufen, weil er nicht so genau weiß, was das ist („fiele Forteile?“). Auch er hat schon mal vom Internet gehört, Kunden haben ihm davon erzählt, und neuerdings sieht man ja auch überall diese komischen Zeichen mit den Klammeraffen, Punkten und den Strichen.

Sind all diese Leute von gestern, nur weil sie sich nicht schon längst ein Modem gekauft und eingeloggt haben? Ganz gewiß nicht. Die Welt hat andere Probleme, ganz große und ganz kleine.

Wer nicht völlig hinter der Tastatur versackt, bemerkt das jeden Tag – an den Nachrichten, auf der Straße und am eigenen Leib. Dagegen ist der ganze Hype um das Internet ziemlicher Quark. Die coolen Sites, die das RL, das real life, zu bieten hat, lassen die virtuellen ziemlich blaß aussehen, auch wenn sie noch so toll gemacht sein mögen. Die real real world besteht eben nicht nur aus zielgruppengerechten jungen, schönen und reichen Leuten, die alles sofort mitmachen und jeden Scheiß konsumieren. Das ist gut so, alles andere wäre unerträglich.