Reifen sollen leiser rollen

Industrie und Regierung wollen mit Produktstandards weniger Verkehrslärm erreichen, weil die EU sich nicht auf Grenzwerte einigen kann  ■ Von Manuela Römer

Autos sollen in Zukunft leiser werden. Dazu haben Bonner Ministerien, das Umweltbundesamt sowie Vertreter der Reifenindustrie und Akustiksachverständige des TÜV gestern in Bonn ein Konzept fertiggestellt. Künftig soll es Grenzwerte für Reifen-Fahrbahn-Geräusche geben. „Die machen inzwischen den dominierenden Teil des Verkehrslärms aus, nachdem es bei der Reduzierung der Motorengeräusche in den letzten Jahren bereits einige Fortschritte gegeben hat“, sagt Rudolf Brüggemann vom Fachbereich Lärmbekämpfung im Umweltministerium.

Eine EU-Richtlinie, die besonders laute Reifen von der Straße holt, ist zwar seit Jahren geplant, aber bisher nicht zustande gekommen. „Wegen des Stillstandes in der EU, die das Monopol hat, Recht zu initiieren, versuchen wir jetzt eine einheitliche europäische Regelung auf anderem Wege zu erreichen“, so Brüggemann. Das Konzept zur Bekämpfung von Reifenlärm wurde deshalb für die Arbeitsgruppe „Kraftfahrzeug-Geräusche“ der ECE, der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, ausgearbeitet. Die ECE regelt durch gegenseitige Übereinkommen die einheitliche technische Ausrüstung von Kraftfahrzeugen. Beim nächsten Treffen der Arbeitsgruppe der Unterorganisation der UNO im September wird der deutsche Vorschlag diskutiert.

Ziel des deutschen Vorschlages ist, die Geräuschemission von Autoreifen auf 72 bis 75 Dezibel zu begrenzen. Dabei wird unterschieden nach der Tragfähigkeit und damit auch der Größe der Reifen. Für größere, breitere Reifen gelten 75 Dezibel als Grenzwert. „Bisher erfüllen nur fünfzig Prozent der auf dem Markt angebotenen Reifen diese Anforderung“, sagt ein Vertreter des Umweltbundesamtes zum bisherigen Stand. „Die Reifenfirma Continental AG begrüßt die Festlegung eines Grenzwertes für Reifen-Fahrbahn-Geräusche“, sagt der Forschungsleiter von Conti, Heinrich Huinink. Die Reifenindustrie arbeite schon seit Jahren an besonders leisen Reifen. Das Unternehmen Conti habe zum Beispiel einen Pneu entwickelt, dessen Geräusch 73 Dezibel beträgt.

Die Angabe solcher Werte setzt allerdings ein einheitliches Meßverfahren voraus. Nach dem Vorschlag in Bonn sollen die Reifen- Fahrbahn-Geräusche in rollender Vorbeifahrt bei 80 Stundenkilometer Fahrtgeschwindigkeit gemessen werden. Das Fahrzeug rollt, der Motor ist ausgeschaltet. Dieses Verfahren wird auch bei Conti angewendet. Neben dieser objektiven Messung gibt es noch eine subjektive Beurteilung durch Testfahrer. Die sollen hören, ob es Geräusche gibt, die zwar nicht meßbar sind, die aber „unheimlich nerven können, etwa wenn der Reifen singt“, sagt Markus Burgdorf, Pressesprecher bei Conti. Zum Schluß wird der Reifen „mit künstlichen Ohren“ im sogenannten Kunstkopfakustiklabor auf einem Rollenprüfstand gemessen.

Wie ist der leisere Reifen technisch machbar? Im wesentlichen gibt es drei Ansatzpunkt: das Profil, die Art des Gummis und die Radkappen und Gehäuse. Ganz leise ist ein Slick, ein Reifen ohne Profil. Der wäre aber ein reiner „Sonnenscheinreifen“, der bei Regen untauglich ist. Für die Geräusche ist vor allem der Außenbereich der Reifen, die sogenannten Schultern, verantwortlich. Dort müssen Rillen vorhanden sein, die das Wasser bei Regen ableiten, das heißt, es müssen Profilklötze stehenbleiben. Auch weicherer Gummi kann die Geräusche reduzieren, er erzeugt aber mehr Rollwiderstand und damit einen höheren Benzinverbrauch. Technisch einfacher ist die Isolierung der Radgehäuse mit Dämmaterial und Radkappen aus Kunststoff und Gummi. Die Reifenhersteller betonen außerdem, das für das Geräusch eines Reifens der Fahrbahnbelag ganz entscheidend sei.

Die Initiative von Reifenherstellern, leisere Reifen herzustellen, soll in Zukunft auch durch einen Umweltengel anerkannt werden, während es das Umweltzeichen bisher nur für runderneuerte Reifen gibt. Voraussichtlich nächstes Jahr werden die Grundlagen für geräuscharme Reifen erarbeitet werden. Bereits 1992 hatte das Bundesumwelt in einer Studie festgestellt, daß Straßenverkehrslärm das Herzinfarktrisiko für Anwohner erhöht.