Schwebendes Fleisch

■ Impuls und Strom auf Kampnagel: Tanzwerkstatt des Sommertheaters zeigt Arbeiten aus England, Japan und Korea

Am Anfang war das Licht: Zwei parallele Rechtecke markieren den Raum am Boden, hinter ihnen leuchten zwei Kreise.

Aus dem dunklen Hintergrund der Bühne schieben zwei Tänzer synchron eine Hand in den Lichtkegel. Zarte Bewegungen beginnen, in Zeitlupe, dann erstarren sie wieder. Das menschliche Fleisch enthält eine schwebende Qualität, als mache das Licht sie durchsichtig.

Diese luftige Qualität durchzieht das gesamte Duo Unspoken von Russell Maliphant und James De Maria.

Die sparsame, rhythmisch zirpende Musik von Andy Cowell schafft einen ruhigen Hintergrund für die britischen Tänzer und ihre Bewegungssequenzen, die durch Tempiwechsel immer wieder andere Qualitäten erhalten. Wiederholt frieren sie einen Bewegungsfluß kurz vor seinem Ende ein und lassen ihn dann sanft in Zeitlupe auslaufen. Mit großem Effekt: Wie die Kamerafahrt in ein Schlüsselloch gewähren diese Momente vergrößerte Einblicke in das Bewegungsmaterial und in die Gesetze vom Energiefluß im Raum, der nie abreißt.

Es ist eine unbeschreibliche Wohltat, die auf Impuls und Strom ausgerichtete Contact-Improvisation einmal gänzlich ohne die Schlampereien zu sehen, die diesem Stil so oft unterlaufen. Russell Maliphant kombiniert die Sprünge, Hebungen und Spiralen aus dem New Dance mit den präzisen klassischen Dehnungen in den Raum, die er als ehemaliger Solotänzer beim Sadler's Wells Royal Ballett eindeutig beherrscht. Selbst eine so einfache Bewegung wie ein schnell geschlagenes Rad ist noch ausdifferenziert, indem die Beine in der Luft eine eindeutige klassische Attitüde anzeigen. Ganz anders die vom Butho beeinflußte Arbeit Dead and Alive des Japaners Kim Itoh.

Drei nackte Gestalten drehen sich auf einer Diagonalen beharrlich um sich selbst und schaffen einen befremdlichen Kontrast zur bombastischen Symphonie von Mendelssohn. Im anschließenden Solo von Kim Itoh entfaltet sich dann die verwandelnde Kraft des Butoh: Im weißen Nachthemd spreizt eine Gestalt ihre Ellenbogen, die Unterarme baumeln wie Äste im Wind. Das Gesicht bleibt in vollkommener Ruhe, der Körper darunter in Spannung. Für einen Moment scheinen sich Teile des Körpers von ihm zu trennen.

Rastet da nicht ein Roboter aus? Und steht jetzt nicht ein kleines Kind auf der Bühne, oder ist es ein alter Mann mit gekrümmtem Bauch?

Nach dem mißratenen Sonnabend war diese Tanzwerkstatt eine gelungene Schau zeitgenössischer Ansätze. Es lohnt sich, die letzte Aufführung heute abend noch zu nutzen. Gabriele Wittmann

Kampnagel Halle 1, 21 Uhr