■ Urdrü's wahre Kolumne
: Vetterli und die Motorsäge

Nach trinkfester Nacht beim Waller Stadtteilfest ist die erste Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof meine. Nicht allein allerdings, denn auf einem Sitz weiter vorn, der durch den schrägen Blickwinkel dennoch einsehbar ist, befasst sich ein spätmittelalterliches Pärchen in irritierender Weise wechselseitig mit primären wie sekundären Geschlechtsmerkmalen, wobei dem zufälligen Voyeur sogar der Blick auf diese teilweise unverhüllt freigegeben wird. Steigt schließlich am Haferkamp ein weiterer Fahrgast mit einschlägiger Raver-Kopfbedeckung zu und tippt ausgerechnet das schmatzende Duett unsanft an, um zu fragen „Kommt man hier zur Falkenstraße?“ Ein Beleg mehr dafür, daß es mit der Erziehung zu sozialem Verhalten an bremischen Schulen nicht weit her sein kann.

Frohe Botschaft für den Bildungsbeflissenen, der schon jeden Kurs mitgemacht und einschlägige Diplome von der Fußreflexzonen-Massage bis zum Neurolinguistischen Lernen packweise abheften konnte: Beim kleinen Töpferlädchen im Bremer Westen verspricht ein in zierlichen Buntstift-Buchstaben verfasstes Dokument auf grauer Pappe mit einem ausgeschnittenen Harlekin darauf im Schaufenster dem geneigten Publikum „Neu! Ab sofort gibt es bei uns offizielle Zertifikate auch bei Wochenendkursen in FIMO-Modellieren. Auf Wunsch auch gerahmt.“ Und voller Freude stellen wir uns die festliche Zeremonie der Übergabe dieser Urkunden auf der Abschlußparty der FIMO-Akademie mit Salatbuffet und Ökowein vor und wissen „Der Mensch an sich ist zwar blöd, aber eigentlich ziemlich nett!“

Die jetzt bekanntgewordene Tatsache, daß mit irgendeiner Form achselzuckender Billigung durch die Herren Chefs und die wochenends an ihrem Kajütboot bastelnden Kollegen der DASA ein durchgeknallter Nazimann mit Schreibzwang faschistische Pamphlete hierhin und dorthin schickte, sollte uns eindringlich ins Gedächtnis holen, daß man sich nicht vor jeden Proll-Karren spannen sollte, wenn das Solidaritätsglöckchen mal wieder läutet: „Den Industriestandort Lemwerder erhalten.“ Ein langer Satz dies, gewiss. Aber so gehts, wenn der kollegiale Langmut am Ende ist: „Haut weg den Scheiß!“

Sie können es nicht lassen, den Zorn des alten Zebaoth herauszufordern: Auf dem Bremer Wertkauf-Parkplatz startet am 22. September wieder die Ökumenische Motorradinitiative Unterweser zur Saison-Abschlußfahrt mit Gottesdienst in Brake unter dem Motto: „Dem Leben zuliebe“, wobei jener Easyrider gedacht wird, die ihrem Schutzengel zu schnell davonfuhren und nun im heißen Hochleistungsöl des Fegefeuers sieden. Die Opfer der Moped-Ultras aber, die läßt man vermutlich ungetröstet Däumchen drehen, denn von bußfertiger Selbstkasteiung mit der Neunschwänzigen weiß der Evangelische Pressedienst in diesem Zusammenhang nichts zu berichten! Muß DER HERR denn immer alles selber machen?

Daß jedes kriminelle Genre seinen eigenen Nationalitätenpaß hat, wissen aufmerksame Zuschauer der TV-Serie „Aktenzeichen xy“ seit langem: Während in Deutschland die große Welt des Verbrechens mit Bankraub, Entführung und gewaltigen Einbruchsserien ums goldene Kalb der Gier tanzt, geht es bei Werner Vetterli im Aufnahmestudio Zürich vorzugsweise um Mutter- oder Vatermord durch archaische Verstümmelung mit der Motorsäge. Das glückliche Österreich aber, es bescheißt nach Lust und Laune, heiratsschwindelt, scheckbetrügt und tritt unter wechselnden Falschnamen und Titeln auf. Und von dort schickte mir eine Touristikinformation aus dem schönen Tirol so penetrant Mitteilungen mit der Anrede „Direktor“, daß ich dies gegenüber den Fremdenverkehrswerbern endlich klarstellen mußte, um nicht vor den Redaktionskollegen selbst als Hochstapler und Landsmann der österreichischen Absender dazustehen. Prompt wurde die Veränderungsmitteilung im schönen Tirol registriert: Ich gelte jetzt nur noch als „Sehr geschätzter Herr Doktor.“

Für die Vulkanesen erhebt heute Gunter Gabriel zur Eröffnung des Vegesacker Herbstmarktes seine solidarische Trucker-Nachtigallenstimme. Doch rettet uns kein höheres Wesen/kein Brüssel, Barde und Tribun. Uns aus dem Elemd zu erlösen/müssen wir schon selber tun. Und jetzt alle zusammen.... Toi,toi,toi wünscht Ulrich Reineking-Countryside