„Ohne Beziehungen läuft eh nichts“

■ Tim sucht eine Lehrstelle: „Als Gekündigter habe ich sowieso keine Chance“

Sein Bruder war nicht besser, „der hat nur in der Schule mehr aufgepaßt“, gibt Tim Kedenburg zu. Der 20jährige steht im Flur des Arbeitsamtes am Doventorsteinweg, es ist kurz vor 9 Uhr. Die Berufsberater für Lehrstellensucher haben gerade ihre Tür aufgeschlossen. Tim hat einen erweiterten Hauptschulabschluß und ist ohne Job. Daß sein Spediteur ihn vor einigen Monaten als Lehrling vor die Tür gesetzt hat, kann er beim besten Willen nicht verstehen. „Als Gekündigter finde ich sowieso keine neue Lehrstelle mehr“, ist Tim sicher und wartet im Flur, bis seine Nummer aufgerufen wird.

„Richtige Drecksarbeit“ hat Tim als lernender Buskraftfahrer machen müssen. Als er aus dem Urlaub kam, habe im Kaffeeraum ein Bild mit einem Auto geklebt. „Müllwagen des Monats“ habe da drauf gestanden: „Der Chef wollte, daß ich sein Auto sauber halte – ob ich im Urlaub bin oder nicht. Das war dem total egal.“ Die Kollegen mochten ihn sowieso nicht leiden, erzählt Tim. „Die wollten mich wohl loswerden“, schließlich hätten sie die Lehrstelle nur ausnahmsweise für ihn eingerichtet. Ein Jahr hat Tim auf Buskraftfahrer gemacht und erzählt stolz von den rot-gelben Speditions-Lkws, die er in dieser Zeit gefahren hat, und grinst ein bißchen. Dabei wollte er eigentlich Drucker werden. Wie ein „Wahnsinniger“ hat er vor einem Jahr über 50 Bewerbungen geschrieben. „Da kam dann ein Schreiben zurück: Tut uns leid. Aber wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse...“. Warum nicht auch Maler, Lackierer oder Maurer, habe er sich dann gesagt. Doch auch da klare Fehlanzeige. „Irgendwann hatte ich dann keinen Bock mehr.“ Sein Vater machte dann „das mit der Spedition“ klar, „ohne Beziehungen läuft doch eh nichts“, sagt Tim und reckt seinen Kopf hoch. Wenn morgens der Wecker klingelt und er gefrühstückt hat, fragt er sich jedes Mal: „Und was dann?“ Rumhängen, mit Freunden treffen und Zeit totschlagen ist dann meist angesagt. Mit seinen Eltern hat er deshalb „jede Menge Streß.“ „Seit ich arbeitslos bin, ist das echt schlimm geworden.“ Tim soll endlich was tun und sich neue Arbeit suchen, „sonst schmeißen die mich raus“, ist sich Tim sicher. Daß ihm der Ärger mit seinem alten Chef noch „ganz schön an die Nieren“ geht, interessiere keinen. Trotzdem will er zum Arbeitsgericht gehen, „weil die mir eigentlich nicht kündigen durften.“ Einmal, da sei er morgens um 5 Uhr aus Berlin zurückgekommmen. Um 6 Uhr hätte er arbeiten müssen. „Das ging natürlich nicht“. Und dann haben sie ihn rausgeschmissen, erzählt er lapidar. Jetzt steht er wieder im Arbeitsamt, „wie vor einem Jahr“. Verkrampft versteckt Tim seine Hände in den Hosentaschen und rechnet sich keine Chance aus, jetzt noch eine neue Lehrlingsstelle zu finden. „Beim Bund habe ich es auch schon versucht, aber die wollen einen Realschulabschluß.“ Alles Scheiße und kein Bock: So fühlt sich der 20jährige jetzt und gibt zu: „Eigentlich bin ich sauer, daß ich in der Schule nicht besser aufgepaßt habe.“ Daß Kumpels von ihm auch auf der Straße stehen, kann ihn wenig trösten. „Bei meinem Freund läuft jetzt eine ABM-Maßnahme aus. Der hat auch noch keine Lehrstelle gefunden.“ Tim haßt jeden Betriebschef, der keinen Ausbildungsplatz anbietet. „Wenn ich meinen Vater nicht gehabt hätte, wäre aus mir vor einem Jahr gar nichts geworden.“ Warten will er jetzt, und wenn sich beim Arbeitsamt nichts tut, „werde ich ein Jahr auf Steuerkarte arbeiten.“ Tim trottet zu den Sitzbänken und läßt sich schwer auf den Plastikstuhl fallen, um die Wartezeit totzuschlagen. In seiner schwarzen Lederjacke klemmt ein grüner Zettel vom Arbeitsamt in der Tasche. Im Flur steht ein glücklicher junger Mann, der sich angeregt mit seinem Berufsberater unterhält. „Ich bin zum Bewerbungsgespräch eingeladen“, sagt er, „was soll ich denn anziehen?“ Der Berater lacht: „Flotte Bundfaltenhose, schickes Oberhemd, aber bloß nicht zu steif. Fragen Sie am besten Ihre Mutter.“ Meine würde sich freuen, denkt Tim, und starrt auf die Beratertür.

kat