■ Nachschlag
: Zerstörerische Lieben: Die Blaue Oper 96 stellte sich mit Claude Debussy und Béla Bartók vor

„Küß mich, küß mich, Judith, frag nicht“, singt der ermattete Blaubart, während er schon am Boden liegt. Doch zu spät. Von Eifersucht und Neugier angekränkelt, bohrt seine junge Gattin immer weiter. Nicht genug, daß sechs Türen in Blaubarts einst verschlossener Burg bereits offen stehen – auch die letzte soll ihr Geheimnis lüften. Und das ist dann auch das Ende eines langen Abends.

Was die neugegründete Blaue Oper 96 ihrem Publikum zum Einstand in der Neuköllner Oper auftischt, ist schweres Brot: „La Chute de la Maison Usher“ von Debussy und „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók. So unterschiedlich die beiden Musikstücke an der Schwelle zur Moderne auch sind: in der Inszenierung von Joachim Rathke erscheinen sie als Variationen über die gleichen Themen. Ebenso wie Herzog Blaubart ist auch Roderick aus dem Hause Usher ein Gefangener seiner eigenen Vergangenheit; Leichen haben sie beide im Keller, und die jeweilige Frau, Gattin oder Schwester, wird ihrer Aufgabe als Erlöserin längst nicht mehr gerecht. Die Zeiten der Romantik sind vorbei. Finster ist es auf der Bühne (“Spielt die Szene außen oder innen?“ fragt ein Zuschauer), und die Protagonisten scheitern, unfähig zu lieben, an sich selbst.

Doch der Abend, als Einheit angelegt, zerfällt trotz allem in zwei Hälften. Was geht mich das an, denkt man, wenn Roderick wehleidig und in metaphernreicher Sprache seine Innenwelt zur Schau stellt, wenn er, wie ein debiles Riesenbaby mit dem Kopf wackelnd, nach seiner toten Schwester verlangt, die im Hintergrund über die Bühne geistert. Und auch der fragmentarischen Musik Debussys fehlt jegliche sinnstiftende Architektur, die das brüchige Gebäude vielleicht noch hätte stützen könnte.

Wie kraftvoll erscheint dagegen der Bartók, wieviel weniger verblichen! Auch läuft die Blaue Oper da erst zu ihrer Form auf, zeichnet die Regie das sensible Psychogramm einer zerstörerischen Liebe. Präzise und schwungvoll imaginieren die beiden Klaviere (Marius Stieghorst und Sonja Reinsfelder) ein ganzes Orchester, mit warmer Stimme und leidenschaftlicher Glut singt Judith (Hale Al Orfali) ihrem Ende entgegen. Schwarz bleibt die Bühne (Petra Weikert) hinter einem Schleier, nur kurz von rotem Licht und weißem Rauch erhellt. Stellt sich nur noch die Frage, was hinter Blaubarts Türen denn zu sehen war. Christine Hohmeyer

Bis 1.9., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131-133