Zu hoher Erwartungsdruck Von Klaudia Brunst

„Ach ja, an die Anzeige kann ich mich noch gut erinnern“, seufzte meine Freundin, als ich ihr die Einladung herüberreichte. „Großzügiges Dachgeschoß in Viktoriaparknähe, vier Zimmer, Atrium, 1.967 Mark kalt. Und da sind Anna und Maria jetzt eingezogen? Können die sich das denn leisten?“ Natürlich sagten wir zu, an der Einweihungsparty am letzten Samstag teilzunehmen. „Schon allein, weil mich interessiert, was ein Atrium ist“, wie meine Freundin betonte.

„Genau das haben wir uns damals auch gefragt!“ versuchte Anna lautstark die Musik zu übertönen. „Eigentlich wollten wir uns die Bude nur mal angucken. Ist ja eigentlich viel zu teuer für uns. Aber dann haben wir uns sofort in diese Terasse verliebt...“ – „Und da war die Sache für uns klar“, komplettierte Marie und schaute ihrer Freundin verliebt in die Augen. „Ob für uns wohl auch mal dieser Tag kommen wird?“ seufzte meine Freundin und schlenderte mißmutig in Richtung Champagnerbar. „Super Hütte, wa!“ nickte uns Carmen von der Tanzfläche zu. „Seid ihr auch schon umgezogen?“ Bedauernd schüttelten wir den Kopf. „Kopf hoch!“ rief Carmen und wirbelte weiter mit ihrer Freundin über das Parkett. „Wir haben auch volle zwei Jahre gesucht. Nicht wahr, Schatz? Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben. Aber dann...“ – „Muß man sich das anhören?“ stöhnte meine Freundin und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. „Man hat das Gefühl, die ganze Stadt ist auf Wohnungssuche. Eigentlich müßten wir uns alle schon einmal auf einer Besichtigung getroffen haben.“ – „Haben wir auch“, wurde sie nun von einer unbekannten Schönen unterbrochen. „Bergmann 36. Aber ihr seid ganz schnell wieder gegangen. Keine Tierhaltung.“ – „Ach ja, ich erinnere mich!“ schüttelte meine Freundin die ihr dargebotene Hand. „Drei Zimmer, Bad und irgendwas war mit der Küche...“ – „Amerikanische Wohnküche!“ rief die Fremde schwärmerisch aus. „Die hat uns sofort überzeugt.“ Sprach's und wandte sich wieder von uns ab. „Also, du mußt das mal so sehen“, nahm ich daraufhin den Faden wieder auf, „Natürlich suchen wir jetzt gerade alle. Wir sind schließlich jetzt in dem Alter, wo Heteros heiraten und Kinder kriegen. Und unsere Babies sind eben unsere neuen Luxuswohnungen.“

„In der neuen Psychologie Heute steht, daß alle Paare auf Wohnungssuche einen konkreten Kriterienkatalog zur Überprüfung von Wohnqualität im Kopf haben“, mischte sich nun der Barmixer Georg ein, „aber letztlich gibt dann immer ein ganz unerwartetes Detail bei der Besichtigung den Ausschlag: ein schöner Balkon, ein interessanter Erker, ein romantischer Fensterblick. Das ist wie beim Verlieben.“

„Vielen Dank für die Belehrung“, wurde meine Freundin nun wirklich pampig. „Suchst du etwa auch?“ – „Peter und ich wollen zusammenziehen. Schon seit 36 Monaten. Hat aber bisher nie geklappt. ,Zu hoher Erwartungsdruck‘, sagt unser Paartherapeut. Wir hätten uns darüber fast getrennt. Deshalb haben wir jetzt die Notbremse gezogen und professionelle Hilfe eingeschaltet.“ – „Habe ich das gerade richtig verstanden“, drehte sich die Frau von eben abrupt um. „Sie wünschen sich auch ein Baby? An welcher Klinik lassen Sie denn die künstliche Befruchtung vornehmen?“