Das chinesische Modell

Wenn der geplatzte Reifen die Radreise platzen läßt – fehlt der ambulante Mechaniker  ■ Von Heike Haarhoff

Die Schweißperlen auf der Stirn, die Haare zur Sturmfrisur aufgetürmt, Gegenwind mit Hagelkörnern und keuchende Laute bei jedem Tritt in die Pedale. Kein Zweifel, hier erklimmt gerade der deutsche Rad-Tourist einen Paß mit 25 Prozent Steigung. Mindestens. Verbissenen Blickes zwar, aber „begeistert“, sagt er. Sein Freund sagt das nicht. Der mußte schon am Bergfuß aufgeben – ein spitzer Stein, es zischte, dann war der Reifen platt. Die Luftpumpe hat er irgendwo verloren; über Flickzeug verfügt er noch, sieht sich aber außerstande, das Rad ohne fremde Hilfe auszubauen. Jetzt steht er da – 25 schwere Kilo auf dem Gepäckträger. Frust-szenen eines Rad-Ausflugs.

Auch für Hamburg gilt: Wer weder mit handwerklichem Geschick gesegnet ist, noch begabte Mechaniker zu seinem Bekanntenkreis zählt, läßt zwangsläufig schon für Routine-Reparaturen ein Vermögen in den Radgeschäften (neudeutsch „Biker Shops“). So diese überhaupt noch Reparatur-Werkstätten betreiben. Je nach Aufwand, das ergab eine nicht-repräsentative taz-Umfrage in Hamburger Fahrradläden, kosten Glühbirnenwechsel ca. 5 bis 30 Mark, Schlauch flicken 20 bis 30 Mark, Gangschaltung neu einstellen zwischen 10 und 50 Mark.

„Früher“, sehnt sich ein Mitarbeiter des Hamburger Verkehrsverbunds in die 50er Jahre zurück, „war das anders“. Damals gab es an vielen Bahnhöfen und Bushaltestellen Läden, die überwachte Parkflächen für die Räder anboten und zu günstigen Preisen kleinere Wartungsarbeiten und Reparaturen durchführten. „Die meisten konnten von dem geringen Verdienst aber auf die Dauer nicht leben.“ Staatliche Subventionen wären nötig, glaubt auch die Baubehörde, damit diese Serviceleistung in Hamburg wieder funktionieren könne. „Doch unsere Fördertöpfe sind leer“, trauert Sprecher Jürgen Asmussen einer Idee hinterher, „die wir 100prozentig ideell unterstützen“.

In klassischen Radler-Nationen wie den Niederlanden und natürlich China müht sich der Laie längst nicht mehr mit abgesprungenen, ölverschmierten Radketten ab. Es gilt nicht als Schande, sein Rad nicht selbst flicken zu können. Dazu gibt es schließlich Dienstleistungsunternehmen: In China warten an jeder Straßenecke fliegende Rad-Mechaniker auf Kundschaft. Schläuche werden – auch wegen der häufigen Lieferengpässe – mehrfach recycelt, bevor sie endgültig im Müll landen. Privates Luftpumpen-Eigentum gibt es im Reich der Mitte nicht: Erstens besteht immer Gefahr, sie zu verlieren oder geklaut zu bekommen, zweitens pumpen die Radhändler bei Bedarf kostenlos.

Solange das „Chinesische Modell“ in Hamburg aber zum Scheitern verurteilt ist, hilft nur eins: Sich überwinden und „das Reparieren doch selbst lernen“, empfiehlt Marc Lambeck vom Arbeitskreis Radtouristik des ADFC die Teilnahme an einem „Reparatur-Wochenendkurs“ (Mitglieder ca. 15, Nicht-Mitglieder ca. 30 Mark). Schraubenschlüssel, Flickzeug und Reifenabheber, so Lambeck, sollten immer im Gepäck sein. Ebenso Regenkleidung, Helme zum Schutz vor Stürzen und – bei längeren Touren – wasserdichte Satteltaschen. Die dürfen nicht mit mehr als 25 Kilo beladen sein; sonst gerät jeder Ausflug zur Qual. Halterungen für Radkarten am Lenker empfehlen sich für Orientierungslose. AnfängerInnen rät der ADFC, auf den ersten Rad-Reisen wegen „perfekter Infrastruktur“ Schweden oder Dänemark anzusteuern.