„Das reizt mich immer noch“

■ Wenn alte Menschen lieben, verbringen sie immer noch schlaflose Nächte

n feinem grauen Anzug steht Rudolf Fassmers als Empfangsmann an der Tür zum Festsaal. „Sie können das Herz ruhig nehmen. Ich flirte sowieso nicht mehr“, beteuert der 83jährige und schaut der 27jährigen Frau tief in die Augen und drückt ihr ein rotes Papierherz in die Hand. Vergnügt hängt Rudolf der letzten Dame ein rotes Herz um den Hals. Als das 6. Seniorentreffen zum Thema Liebe im Altenheim der Egestorff-Stiftung beginnt, sitzt Rudolf bereits neben seiner Frau Minna im Publikum.

„Geflirtet habe ich nie“, beteuert Rudolf. „Sonst wäre ich Minna sofort losgeworden.“ Weil sei so aufrichtig und ehrlich war, hätte Rudolf vor sechzig Jahren sein Herz an sie verloren. „Der Charakter zählte damals mehr als nur Sex und reine Äußerlichkeiten“. Und überhaupt: Das Gefühl, zusammenzugehören, füreinanderdazusein und für den anderen zu sorgen: „Das ist Liebe“, sagt Rudolf überzeugt. „Das mit dem Sex und so“, flüstert er und beugt sich ganz weit über den Tisch, „das ist ja heute alles ganz anders.“ Als sich die beiden mit Anfang zwanzig im Turnverein kennenlernten, da bekam er noch nichtmal einen Abschieskuß, abends nach einer gemeinsamen Radtour vorm Elternhaus. Stattdessen klatschte ein Backpfeife aus seiner Wange nieder. Verboten war das, unsittlich und höchst gefährlich, stimmt die schweigsame Minna unvermittelt zu. „Wenn uns damals die Nachbarn gesehen hätten.“ Sich so begehren und doch nicht können, das sei wahre Liebe gewesen. Doch was Rudolf nur zögernd verrät: In den fünf enthaltsamen Jahren bis zur Ehe, wurde nicht nur gemeinsam geradelt, geturnt und gewandert. „Da wäre ich ja verdurstet“, flüstert Rudolf, seine Stimme ist kaum noch zu hören und er wendet unruhig den Kopf.

Der Festsaal ist aufgeheizt, 200 SeniorInnen plaudern bei Kaffee und Kuchen, werfen sich gegenseitig nette Blicke zu. Roter Lippenstift klebt auf den schon faltigen Mündern. Lautes Stimmengewirr legt sich wie ein Teppich über den Raum und Rudolf plaudert sich langsam warm. Vom tollen Gefühl der Zusammengehörigkeit nach 60 Jahren Ehe, von tiefer Zuneigung und einem innigen Empfinden füreinander, wenn die ersten Wehwechen im Alter kommen. Und das mit dem Sex, „das kann ich Ihnen ja sagen: Meine 60. Hochzeitsnacht war genauso schön wie die grüne.“ Ganz so feurig sei er ja nicht mehr, „da fehlen einfach die körperlichen Kräfte“. „Aber wenn meine Frau sich auszieht, dann finde ich das zwar nicht mehr aufreizend. Aber reizen tut mich das immer noch“, gesteht er und lehnt sich ganz befreit im Stuhl zurück.

Auf der Bühne spreizen bereits Ursula und Kurt als begnadete Schauspieler lassiv ihre Kußmünder. Der Kavalier aus alter Schule hatte bereits nach dreiminütigem Heiratsanzeigen-Gespräch wollüstig bekannt, daß man ja nicht nur gemeinsam spazieren und essen gehen könne. Doch das Tete-a-Tete wird sekundenspäter von Tochter Barbara gesprengt, die die beiden Alten mit dem wütenden Ausspruch „Sie Wüstling“ jäh auseinanderbringt. „Ihr schlaft doch wohl nicht miteinander – in eurem Alter“, hatte ein junger Verwandter die 70jährige Ursula Heinke ganz unverhohlen gefragt, als sie Kurt vor acht Jahren im Dialyseverein kennenlernte. Beide hatten ihre Partner durch ein schweres Nierenleiden verloren. „Weißt Du was“, habe sie dann gekontert, „die Liebe ist viel schöner im Alter. Weil man sich da so richtig schön viel Zeit lassen kann.“ Während Ursula wütend erzählt, bleibt der 74jährige Kurt ernst. „Körperliche Nähe ist bei uns nebensächlich“, sagt er ruhig und streicht sich gedankenverloren durch sein silbriges Haar. „Ich kann es ja sagen: Ich hatte Krebs und da geht es eben nicht mehr.“ Verlassen wollte Ursula ihn deshalb nicht: „Miteinander reden, sich anlehnen und zusammen Mittagessen, „das ist doch toll im Alter“, verrät sie. Ihren früheren Mann, „den werde ich sowieso nie vergessen. Aber wieso soll ich alleine bleiben, nur weil ich alt bin?“ Beide wohnen in getrennten Wohnungen im Altenheim der Egestorff-Stiftung. „Ich brauche meinen Freiraum und will auch mal allein sein“, gesteht Ursula, die jeden Tag voll beschäftigt ist: in der Seniorenwerkstatt, Lektoren und Gottesdienste und Theater spielen. Den Sketch, den hätten sich die beiden bei einer Kur ausgedacht und damit „so manche schlaflose Nacht verbracht.“ Und wenn sie jemand ganz dreist fragt, ob sie ein Paar sind, antworten beide: „Wir haben viele Gemeinsamkeiten.“ kat