Der Mythos vom großen Schatz

Kolumbien hat nicht nur ein Goldmuseum in Bogotá – nicht weit von der Hauptstadt liegt auch die Lagune, wo die verschlissene Metapher von El Dorado ihren Ursprung haben soll  ■ Von Franz Schiffer

Parque Santander – stolzer Name für einen ziemlich lauten Platz in Bogotá. Francisco Paula de Santander, gefeierter Freiheitskämpfer gegen die Spanier, schaut würdig von seinem Sockel. Hoch aufragende Wipfel von Urapanes beschatten den Held. Ein paar stimmkräftige Volksbelustiger übertönen den Autolärm. Einer hat aus bunten Schüsseln einen Halbkreis gebaut. Die Leute sollen tippen, in welches Plastikgefäß sein Meerschweinchen gleich rennt. „Bei mir muß das Tierchen Geld machen“, erzählt uns der ambulante Lotto-Unternehmer.

Wieso sitzt den Passanten der Peso gerade hier locker? Vielleicht weil es nach Geld bzw. Gold riecht. Die Banco de la Republica hat in einem zweistöckigen, mattweißen Kasten hinter dem Park das hochkarätigste Museum Südamerikas gefüllt. Um die 700 Besucher wollen täglich die Sammlung vorkolumbianischer Goldschmiedekunst im Museo del Oro sehen.

Gelb schimmernde pepitas, Körnchen, darauf hatten es die Conquistadores schließlich abgesehen. Das spätere Kolumbien hat sein Namensgeber nie betreten, aber schon bei seiner Landung im Atoll von San Salvador notierte Christoph Kolumbus: „Ich war aufmerksam und bemühte mich zu erfahren, ob es Gold gäbe, und sah, daß einige Bewohner ein Stückchen an einem Loch ihrer Nase hängen hatten.“

Nicht nur allerlei Nasenringe haben die Bankmanager angekauft und einfühlsam herrichten lassen. In kaffeebraunen Dunkelkammern, sanft angestrahlt, ruhen mehr als 33.000 Pretiosen von dreizehn Stammeskulturen. Denn das zeichnete das Land zwischen den peruanischen Inkas und den mexikanischen Azteken aus: regional stark aufgesplitterte Zivilisationen, durch drei Andenketten und endlose Ebenen getrennt.

Ziemlich einheitlich war aber immerhin die Goldverarbeitung. Tumbaga, eine Legierung aus dem gelben Metall und Kupfer, war die Spezialität präkolumbianischer Goldschmiede. Sie wurde zu Spiralen und Kugeln, Helmen und Spangen, Echsen und Adlern gegossen, gehämmert, gelötet und aufs feinste punziert. Für die letzte Reise legte man den Toten winzige Barren in sämtliche Kopföffnungen. Nur eine der wohlerhaltenen Museumsmumien hockt schmucklos in einem Sack aus Agavenfasern – da waren wohl alle Goldvorräte schon in den Händen der Eindringlinge, denen das köstliche Geschmeide eher zur profanen Bereicherung diente. Wie wunderte sich ein spanischer Chronist: „Goldene Platten an den Hausfassaden hatten die Einwohner aus Freude, wenn sich die Strahlen der Sonne darin spiegelten...“ Gold, das war der göttliche Abglanz des himmlischen Energiespenders.

El Dorado, der Vergoldete, lockt die Touristen bis heute magisch an. Auf einem sacht geschwungenen Floß thront dieser Fürst so wie immer, wenn ein neuer Stammesführer auf einer heiligen Lagune der Sonne huldigte: flankiert von Untergebenen, umhäuft von metallenem Reichtum, den die Crew feierlich versenkte. Kaum schuhkartongroß ist die filigran nachgeformte Szene mit den Bürstenhaar-Figuren. Doch ein bißchen Goldfieber genügt, und die Phantasie belebt sie, nimmt sie mit in den Tresorraum des Museums. Schaurig-schön dimmert an der Wand des Salón Dorado ein wucherndes Ufer. Tausende goldener Kostbarkeiten sind so geschickt hinzudrapiert, daß sie mit der Landschaft verwachsen scheinen. Ein Crescendo aus Schellen, Flöten und Trommeln legt sich über die stimmungsvolle Kulisse. Ritueller Gesang kommt auf – so mag's gewesen sein.

Der berühmteste Schauplatz solcher alter Zeremonien liegt gut 60 Kilometer nördlich von Bogotá. Ein Landbus fährt hinaus in die Nähe der Laguna de Guatavita. Es geht durch graugrüne Savanne. Zu beiden Seiten der Autobahn gleicht die 2.600 Meter hohe Ebene einem wüsten Gewerbepark, der zusehends die graugrüne Savanne erobert. Möbelfabriken, Zementwerke, Hühnchenbratereien, und aus großflächigen Treibhäusern leuchten Nelken, Rosen, Hyazinthen. Bald hinter der Ortschaft Sesquilé windet sich kilometerweit der Stausee Tominé, der einen guten Teil des Stroms für die nahe 7-Millionen-Stadt liefert. In der Kurve mit dem unscheinbaren Brett „La Laguna – 4 km“ steigen wir aus.

Ein kurzes Stück noch auf Asphalt, dann führt ein staubiger Hohlweg hinauf in weites Weideland, spröde nur auf den ersten Blick, tatsächlich voller Farbenteppiche von lichtem Grün bis schwerem Braun. Dazwischen hellviolette Rabanos, ein zartes Kräutchen, das abgeerntete Kartoffelfelder wie Schleier überzieht. Da liegt sie, die legendäre Lagune, in einem steilen Trichter, 3.000 Meter hoch, nahezu kreisrund und klein, struppig eingerahmt von harten, haarigen Gewächsen. Wo immer auf der Welt jemand glaubt, ein Dorado entdeckt zu haben – dort unten hat die verschlissene Metapher ihren Ursprung. Ironie der Geschichte: Unter dem smaragdgrünen Wasserspiegel hat bisher niemand sagenhafte Schätze gefunden. Spanische Generäle und Feldkapitäne, zerlumpte Soldaten und Kaufleute sind mit leuchtenden Augen hergezogen. Zwei Expeditionen brachen einen Spalt ins Ufer, um den See trockenzulegen. Mehr als ein paar Goldstücke kam nie zum Vorschein. Das vermeintliche Goldland unter Wasser blieb eine Fata Morgana.

Wie ein modernes Trugbild mutet das Dorf Guatavita zweieinhalb Wegstunden südwestlich vom See an. Schmucke, weiße Häuschen in konzentrischen Kreisen, bunte Vorgärten, eine Art Fußgängerzone rund um die Kirche mit dem obeliskhaften Turm und am Ortsrand eine Stierkampfarena – in diesen mediterran wirkenden Baustil wurden 1968 die Bewohner des alten Guatavita verpflanzt, das im Tominé-Stausee unterging. Die meisten Campesinos haben die Zwangsheimat wieder verlassen, folkloristisches Kleingewerbe bestimmt das anregende Dorfbild heute. Doch der Mythos vom großen Schatz spukt weiter in den Köpfen. Die junge Kassenfrau im kleinen Museo de los Indigenas verrät uns diesen goldigen Vorfall: „Ein Bursche hat im Frühjahr eine Goldfigur am Ufer der Lagune gefunden. Meinem Mann hat er sie gezeigt – also muß doch was dran sein.“

Infos: Corporación Nacional

de Turismo, Bogotá, Calle 28

No 13A–15,, Tel.: 4138202