Macht doch Spaß, hier zu sein

Im neuen Südafrika gibt es neue Enttäuschungen, neue Gangster und jetzt auch eine neue islamische Anti-Drogen-Miliz. Szenen eines Kleinkrieges, der langsam größer wird  ■ Aus Kapstadt Kordula Doerfler

Muhammed Ali Parker, genannt „Phantom“, liebt dramatische Auftritte. „Ich gehe zurück an die Arbeit, um mein Volk zu retten!“ ruft er mit heiserer Stimme. „Drohungen gegen mein Leben halten mich davon nicht ab.“ Durch die große Gebetshalle der Moschee von Gatesville geht beiläufiges Gemurmel. „In diesem Land gibt es kein Rechtssystem mehr, alles ist zusammengebrochen. Und gibt es überhaupt noch so etwas wie Polizei?“ Mit erhobener Faust droht der „Kommandeur“, angetan mit einer kugelsicheren Polizeiweste, einem deutschen Armeeparka und einem Palästinensertuch, dem Feind draußen: „Ich komme. Seid darauf vorbereitet!“

Während in der Moschee eine mehrstündige Mischung aus Gebet, Politveranstaltung und Pressekonferenz ihren Lauf nimmt, warten vor den Türen die Ordner der „G-Force“ auf den Marschbefehl. Der bleibt bis zum Schluß geheim, denn die Bürgerwehr Pagad („People against gangsterism and drugs“) ist davon überzeugt, von Spionen infiltriert zu sein. Die jungen Männer sind mit Strümpfen und Palästinensertüchern vermummt. Ein paar Frauen, Polizeiwagen und Reporter lungern in der Kälte herum.

Wenn diese Bürgerwehr schließlich loszieht, was sie mehrmals in der Woche tut, ist es oft erst kurz vor Mitternacht. Per Autokonvoi geht es durch die Wohnviertel der Cape Flats, um zu tun, was die Polizei versäumt: aufräumen mit den Drogendealern. Anfang August endete ein solcher Marsch ein paar Kilometer weiter mit dem öffentlichen Lynchen des Drogendealers Rashaad Staggie. Wo sich normalerweise kaum mehr als 300 gläubige Muslime zum Abendgebet versammeln, drängeln sich seither oft mehr als 1.000 Männer jeden Alters, um zu hören, wie die Pagad-Führer zum „Dschihad“ aufrufen.

Die Moschee von Gatesville ist ein offenes Haus. „Es war immer unsere Konzeption, daß jeder hierherkommen kann – egal welcher Hautfarbe, Religion oder politischen Überzeugung“, sagt Scheich Sadullah Khan, der Imam der Moschee. Islamische Gelehrte aus aller Welt gehen ein und aus. Südafrikas Justizminister Dullah Omar hielt hier seine erste Amtsrede. Christliche und jüdische Wissenschaftler treffen sich hier. Louis Farrakhan sprach hier. Und der Dalai Lama. Und neuerdings eben auch die Pagad-Führer.

Die Moschee liegt in einem der besseren Viertel der Cape Flats, der Farbigensiedlungen Kapstadts. Wer hier lebt, hat die Armut überwunden. Viele Mitglieder der farbigen Oberschicht stammen aus dieser Gegend und waren im Befreiungskampf gegen die Apartheid aktiv. Auch Dullah Omar lebte hier bis vor kurzem mit seiner Familie, ehe er sich nicht mehr sicher fühlte. Trostlos und heruntergekommen sind die Cape Flats erst weiter draußen, wo Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum und Alkoholismus den Alltag bestimmen. Etwa die Hälfte der rund drei Millionen Menschen im Großraum Kapstadt sind coloureds: zum Teil Nachfahren der Urbevölkerung Südafrikas, zum Teil Abkömmlinge von während der Kolonialzeit importierten Sklaven aus Südostasien. Die meisten von ihnen sind Muslime.

Khan, der Imam, bestreitet, selbst Pagad-Mitglied zu sein. Über die Verkündung des Dschihad seitens der Bürgerwehr ärgert sich der eloquente Gelehrte. „Das ist lächerlich. Den Dschihad können nur religiöse Führer erklären.“ Geht es aber um die moralischen Ziele der Bewegung, kommt Khan in Fahrt. „Unmoral und Korruption nehmen auch im neuen Südafrika immer mehr zu. Das ist es nicht, wofür wir jahrelang gekämpft haben.“ Die Anhänger von Pagad seien keine Fanatiker, sondern ganz normale Familienväter, die genug haben von den leeren Versprechungen der neuen Regierung, die Kriminalität zu bekämpfen. „Zu behaupten, daß hier militante Fundamentalisten am Werk sind, ist einfach absurd.“ Daß vor allem Muslime sich Pagad anschließen, hält der Scheich für Zufall. „Die meisten Bewohner der Cape Flats sind nun mal Muslime.“

Bis zu dem Mord an Staggie war die Pagad-Bürgerwehr fast unbekannt. Sie gründete sich Anfang letzten Jahres. Mitte Mai stellte sie dem Justizminister ein Ultimatum: Binnen sechzig Tagen solle die Regierung den Drogenhandel am Kap unterbunden haben. Nach Ablauf des Ultimatums begannen gezielte Aktionen gegen Drogenhändler. Seither hat Pagad so großen Zulauf, daß manche Mitglieder selbst überrascht sind. Angesichts der steigenden Gewaltkriminalität, des ineffizienten Justizsystems und der korrupten Polizei verstehen viele Südafrikaner, daß Pagad das Recht in die eigene Hand nimmt.

„Sie machen schon unsere Kinder abhängig, indem sie ihnen mit Drogen durchsetzte Süßigkeiten andrehen“, sagt Ismail Effendi, ein Sprecher der Bürgerwehr. „Wir haben jetzt eine Demokratie und hatten gehofft, daß alles besser wird. In Wirklichkeit ist alles schlechter geworden.“ Auf der Fahrt durch die Cape Flats sprudelt der 48jährige über von Geschichten: Dort, vom Dach der Metzgerei, schossen am vergangenen Wochenende Gangster auf Pagad-Mitglieder. In jene Moschee flüchteten die Anhänger seiner Organisation. Die Polizei stand daneben und sah wieder einmal tatenlos zu. Da drüben, in der Slumsiedlung, ist jeder ein Opfer der Drogenhändler. Zehn Familien, Pagad-Mitglieder, mußten flüchten, weil ihr Leben bedroht war. „Jeder hier ist ein Opfer der Gangster“, sagt Effendi, „und alle unterstützen Pagad.“ „Im Namen Gottes sind sie zu Mördern geworden“, sagt hingegen Gaironesa Murray, die in der verruchten Slumsiedlung lebt. Angst zu reden hat hier niemand – im Gegenteil. Binnen weniger Minuten findet vor der kleinen Moschee eine Dorfversammlung statt. „Die Pagad-Leute sind Feiglinge!“ schimpft ein Mann. „Es ist falsch, daß sie Staggie umgebracht haben. Hätten sie dafür gesorgt, daß er vor Gericht gebracht wird, wäre das in Ordnung.“ Der Koran, ergänzt eine andere Frau, erlaube es nicht, einfach Menschen zu töten, selbst wenn sie Verbrecher sind. „Sie mißbrauchen den Koran, wenn sie das behaupten.“ Unumwunden gibt die Frau zu, jahrelang selbst mit Drogen gedealt zu haben. „Mein Mann kann nicht arbeiten, ich habe neun Kinder. Wie hätte ich die großziehen sollen?“

Daß in den Cape Flats mit Drogen und Waffen gehandelt wird und rivalisierende Banden die Bevölkerung terrorisieren, ist nicht neu. Aber seitdem Südafrika nicht mehr von der Welt geächtet wird, gelangen immer mehr harte Drogen ins Land, auch Kokain und Heroin. Insgesamt 13 Syndikate und mehr als 120 Straßengangs gibt es nach einem bisher geheimen Polizeibericht in der Westkap-Provinz.

„Natürlich bin ich ein Gangster“, sagt Leon Achilles. Der 36jährige, genannt „Chippie“, ist einer der führenden Köpfe in der Hard-Livings-Gang – jener Drogengang, die Rashaad Staggie zusammen mit seinem Zwillingsbruder Rashied befehligte. „Wir sind gesetzestreue Menschen“, behauptet „Chippie“ unschuldig. „Wenn die Polizei mit einem Hausdurchsuchungsbefehl vor der Tür steht, lassen wir sie natürlich hinein. Aber sie finden nichts, denn wir sind vorher gewarnt worden – aus ihren eigenen Reihen.“

In der Außenmauer des kleinen einstöckigen Hauses im Stadtteil Salt River, vor dem Staggie umgebracht wurde, sind noch die Einschußlöcher zu sehen, aber die Fassade ist frisch gestrichen. Es war der Abend des 4. August, als sich dort mehrere hundert aufgebrachte Pagad-Anhänger versammelten und sich einen heftigen Schußwechsel mit den Gangmitgliedern lieferten. Rein zufällig fuhr Staggie in seinem teuren Geländewagen vor. Vor den Augen der Polizei und vor laufender Fernsehkamera wurde er angeschossen, mit Benzin übergossen, angezündet und schließlich mit mehr als dreißig Schüssen hingerichtet.

„Das sind nicht die Methoden, die Pagad normalerweise anwendet“, meint Ismail Effendi. Aber Drogenkönig Staggie habe mehrere Chancen bekommen, sich im Sinne des Islam „zu reformieren“ und von seinem Gewerbe abzulassen. „Diese Chance hat er ausgeschlagen. Die Emotionen schlugen hoch an jenem Abend. Das muß man verstehen.“

Jetzt, knapp drei Wochen danach, geht der Drogenhandel in dem Haus weiter wie eh und je. In die Außenwand ist ein Fenster eingelassen, das ähnlich wie an einem Fahrkartenschalter auf- und zugeschoben werden kann. Wer Mandrax oder Kokain kaufen will, kann das dort auf offener Straße tun. Nur die Scheibe ist jetzt durch kugelsicheres Glas ersetzt worden.

Drinnen, im Haus, lungern halbwüchsige Jugendliche vor dem Fernseher herum, rauchen und trinken. „Macht doch viel mehr Spaß, hier zu sein“, nuschelt ein Angolaner durch seine Goldzähne. Während des Gesprächs mit „Chippie“ in der Küche klingelt ununterbrochen das Telefon. In einem kleinen Seitenraum verpackt ein Mädchen Kokain in Zeitungsschnipsel. Auf dem Tisch liegen Tüten mit Mandrax-Tabletten herum. „Wir sind sehr beschäftigt in diesen Tagen“, erklärt „Chippie“ entschuldigend. „Was sie mit Staggie getan haben, hat uns sehr aufgebracht.“ Dabei hat er durchaus Verständnis für „ihre“ Ziele. „Es ist nicht richtig, was wir tun, und ich kann verstehen, daß sie gegen Drogen vorgehen wollen. Aber dann sollen sie mit uns reden und uns nicht einfach töten.“

Worüber „Chippie“ lieber nicht spricht, das sind die grausamen Rachefeldzüge der Gangs. Mehrmals schon haben mutmaßliche Mitglieder der Hard-Livings das Haus eines muslimischen Geistlichen angegriffen und zuletzt in Brand gesteckt.